Potsdam-Mittelmark: „Eigene und sonderbare Nation“
Historiker Hartmut Röhn bringt die beiden wichtigsten historischen Werder-Chroniken neu heraus
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Werder (Havel) - Sie sind „größtentheils große starke nervigte Leute“, zäh, genügsam, fleißig, sie lieben „volle Becher“, und nehmen „Fremde nicht gern unter sich“ auf. Das vor über 200 Jahren geprägte Bild der Werderschen hat sich – zumindest ein bisschen – bis heute gehalten. Wer sich dafür interessiert, wie es entstanden ist, kommt an zwei historischen Quellen nicht vorbei: der Werder-Chronik von Ferdinand Ludewig Schönemann von 1784 und den Aufzeichnungen des Werderaner Pfarrers Johann Adolf August Haensch von 1852. Es sind die ältesten und umfangreichsten Schriftzeugnisse zur Werder-Geschichte, sagt Professor Hartmut Röhn.
Von den beiden Texten seien nur noch wenige Exemplare erhalten, erklärt der auf der Inselstadt lebende pensionierte Historiker und Philologe. Von Schönemanns Chronik etwa sind Originale nur noch in der Berliner Staatsbibliothek und in der Unibibliothek Greifswald nachweisbar. Haenschs Manuskript findet sich im Brandenburgischen Landeshauptarchiv. Anderthalb Jahre lang hat Röhn eine gemeinsame Neuausgabe der beiden Texte vorbereitet, ausführliche Einleitungen, erhellende Anmerkungen und ein umfangreiches Register erstellt. Jetzt geht das Werk mit dem Titel „... ernsthafte Beyträge zur Geschichte der Stadt Werder ...“ beim Lukasverlag in den Druck.
Schönemann beschreibt in seiner Chronik Lage, Geschichte und Wappen von Werder, die Stadtgrenzen und Häuser, die Sitten und Gebräuche dieser „eigenen und sonderbaren Nation“. Er schildert Tauf- und Hochzeitsrituale, bei denen wegen aufdringlicher Zaungäste „nicht selten die Policey ins Mittel treten muß“. Er zitiert das Platt der Einwohner, die zum Beispiel „Guarden“ statt Garten, „Nuaber“ statt Nachbar und „Wuahrigkeit“ statt Wahrheit sagten. Aus dem Werk geht nicht zuletzt hervor, wie sich der Übergang vom Fachwerk- zum Massivbau, vom Stroh- zum Ziegeldach anbahnt und wie Modernisierungen durch königliche „Beubeneficia“ gefördert wurden.
Die Idee zu der Chronik ist Schönemann wahrscheinlich nach der von ihm als Stadtschreiber durchgeführten Sortierung der Stadtakten entstanden, glaubt Hartmut Röhn. Pfarrer Haensch beschäftige sich mit der Werdergeschichte im Zuge einer Umfrage des Geographen Heinrich Berghaus für dessen „Landbuch der Mark Brandenburg“. Nur ein Teil seiner Aufzeichnungen ist im Landbuch erschienen. Berghaus habe sich ihm Rahmens seines landeskundlichen Konzepts nicht so sehr für Trunkenbolde, Schlägereien und vorzeitig verlorene Jungfernschaften interessiert, so Röhn. Bei ihm erscheinen die Aufzeichnungen freilich vollständig.
Mit der 66 Jahre nach Schönemann erschienenen Haensch-Chronik ließe sich die Stadtentwicklung in jenen Jahrzehnten gut nachvollziehen, sagt der Historiker: die Vergrößerung der Stadt in die Vorstadt hinein, das Bevölkerungswachstum und der Wandel vom Wein- zum Obstbau. Dank Haensch ist zum Beispiel überliefert, dass im Zuge der Märzrevolution 1848 auch in Glindow „eine Neigung zum Aufstand“ bestand. „Die Armuth der überwiegenden Arbeitermassen“ habe einige Bewohner zu „Eingriffen in fremdes Eigenthum“ getrieben: Die Glindower Mühle wurde geplündert, doch „es gelang bald, die Ruhe wieder herzustellen“. In den folgenden Jahren sei die „treue Anhänglichkeit an den König mehr und mehr hervorgetreten“.
Illustriert ist das Buch mit 16 Lithografien prägnanter Gebäude in und um Werder vom Kantor Wilhelm Oeser. Sie sind in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden. „Die beiden Texte sind deshalb so ansprechend, weil die Verfasser im Kern die jeweiligen zeitgenössischen Lebensverhältnisse in der Stadt beschreiben“, meint der Direktor des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Klaus Neitmann. Eine Anfrage an die Stadt Werder, die Buchveröffentlichung in der Reihe „Studien zur Landesgeschichte“ finanziell zu unterstützen, blieb unbeantwortet. Jetzt wird das Landeshauptarchiv den Druckzuschuss von 5200 Euro allein tragen. 500 Exemplare werden gedruckt – mit dem Ziel, altes Schriftgut zu bewahren und den Einheimischen vergangene Lebenswelten zu vermitteln.
Für Hartmut Röhn ist nicht die erste Veröffentlichung zur Werder-Geschichte: So hatte er vor vier Jahren unter dem Titel „Von Menschen und Häusern“ lokalgeschichtliche Aufsätze des bekannten Werder-Historikers Balthasar D. Otto (1934-2004) herausgegeben – die Bücher waren sofort vergriffen.
Ab Mai zum Preis von 25 Euro im Handel, ISBN 978-3-86732-139-6.
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