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Potsdam-Mittelmark: Ein Dorf macht Theater

Netzeband lädt zum Kultstück „Unter dem Milchwald“ in den Gutspark – ein Spiel mit 53 Puppen

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Die meisten Züge fahren einfach durch. Wer aussteigen will, muss dem Schaffner rechtzeitig Bescheid geben. Doch bei einem 200-Seelen-Dorf wie Netzeband kommt das selten vor. Lediglich an den Sommerwochenenden zwischen Ende Juni und im Juli wandelt sich der „Halt bei Bedarf“ in eine ständige Station, fast immer jedenfalls. Dann entsteigen den Zügen froh gelaunte Ausflügler mit mehr oder weniger prall gefüllten Rucksäcken oder Rollkoffern, schicken Handtaschen oder einfach nur mit einem Pullover oder einer Decke unter dem Arm.

Noch mehr Gäste haben sich mit dem Auto zu dem Dorf in der Nähe von Neuruppin und unweit der Hamburger Autobahn auf den Weg gemacht, wie ein Blick auf den vollen Parkplatz in der Ortsmitte beweist. Ja, Netzeband ist ein ungewöhnliches Dorf, das der Kultur seinen überregionalen Bekanntheitsgrad verdankt. Seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten spielt der Ort Theaterstücke, in denen die wenigsten Akteure Profis sind. Viele Rollen und die Organisation werden von Anwohnern und Schülern aus der Nähe übernommen.

Vor allem mit einem Stück hat sich der „Theatersommer Netzeband“ wahren Kultcharakter erworben. „Unter dem Milchwald“ von Dylan Thomas über einen Tag in der ganz normalen (und erfundenen) walisischen Kleinstadt Llareggub stand schon 1996 im Gutspark neben der dem Verfall buchstäblich entrissenen Dorfkirche auf dem Programm. Und trotz der im Schnitt 400 bis 500 Besuchern pro Aufführung ist die Nachfrage noch immer riesengroß. Deshalb wird auch die diesjährige Saison am 27. Juni mit dem unterhaltsamen Stück eröffnet.

Die Art der Aufführung ist außergewöhnlich, wird Synchrontheater genannt – und erinnert an Puppentheater. Das Ensemble trägt und bewegt dreiundfünfzig überlebensgroße Puppen beim Spiel auf der Parkbühne, während die vorher von Profi-Schauspielern eingesprochenen Texte vom Band kommen. Das Froschkonzert, das Zwitschern der Vögel und das Summen der Grillen gibt’s im Rahmenprogramm gratis dazu.

Mit diesem in Deutschland nahezu einzigartigen Synchrontheater bringt Regisseur Frank Matthus 2014 auch den Shakespeare-Klassiker „Der Widerspenstigen Zähmung“ auf die Bühne im Grünen, während jüngere Gäste die Abenteuer auf der „Schatzinsel“ verfolgen können.

Viele Besucher sparen sich nach der Vorstellung die Heimfahrt und übernachten in den „Märkischen Höfen“, die aus einem Gut entstanden sind, in Ferienwohnungen und Hotels. Genau dieses Modell hatte sich der Düsseldorfer Landschaftsarchitekt Horst Wagenfeld vorgestellt, als er 1992 das Dorf entdeckte und das Festival ins Leben rief. Vielen Unkenrufen zum Trotz lebt Netzeband diesen Traum vom lebendigen Theaterdorf weiter. Ste.

www.theatersommer-netzeband.de

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