KulTOUR: Ein Hauch von Résistance
Rückkehr nach über 40 Jahren: Stefan Welzk las im Peter-Huchel-Haus
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Michendorf - Auf den heutigen Betrachter wirkt dieses grellgelbe Protesttuch direkt neben dem offiziellen Aufhänger zum Abschlusskonzert des „III. Internationalen Johann-Sebastian-Bach-Wettbewerbs“ in der Leipziger Kongreßhalle Mitte 1968 ziemlich schlicht und naiv. Gefordert wurde der Wiederaufbau der gesprengten Leipziger Universitätskirche. In der letzten Phase der Ulbricht-Ära aber brauchte es gehörig Mut, eine solche Provokation vor DDR-Ministern, internationalen Gästen und der West-Presse zu installieren, zumal dieses Jahr zwischen Westberliner Studentenaufruhr und „Prager Frühling“ ohnehin eine schwere Bedrohung für den gesamten Ostblock darstellte. Leipzigs intimste „Bedrohung“ war massive Bürgerwut gegen die folgenreiche Sprengung der Universitätskirche 1968; durchaus möglich, einen Bogen zu den Demonstrationen im Herbst 1989 zu schlagen.
Wer dieses nicht gerade kleine Plakat mit der Aufschrift „Wir fordern Wiederaufbau“ für zweitausend Augenpaare erdachte, erfuhr man am jetzt im vollbesetzten Vortragsraum des Wilhelmshorster Huchel-Hauses aus dem Munde eines der Akteure. Für Hausherrn Lutz Seiler war es ein „besonderer Abend“, denn das Corpus delicti wurde erstmals in des Dichters bewaldetem Garten von eben diesem Stefan Welzk entrollt.
Zwischen der Kirchen-Sprengung und diesem Studentenprotest, der bei den Bonzen „stammelnde Fassungslosigkeit“und sogar einen Herzinfarkt auslöste, lagen wenige Wochen. Kurz danach entfloh der 1942 geborene Physiker mit seinem Freund Harald Fritzsch über das Schwarze Meer in die Türkei. In der Bundesrepublik studierte er mehrere Fächer, promovierte bei Carl Friedrich von Weizsäcker, arbeitete in einer Gewerkschaftszentrale, dann für Björn Engholms Landesregierung. Seit 2005 ist er freischaffend.
Nach über vierzig Jahren in dieses Haus zurückgekehrt, erzählte er, wie er Huchel als Student ganz naiv von der Raststätte Michendorf anrief, wie er ihn später bei einer Lesereise in Italien begleitete. Stefan Welzk war von Huchels Lyrik so angetan, dass er selber welche zu schreiben begann. Neben Teilen seiner unveröffentlichten Autobiographie „Grenzverletzer“ die Plakataktion, zu der auch ein Hauch Résistance gehört haben soll – las er etliche Gedichte, Essayistisches. Viel Pessimismus, Endzeitstimmungen, Bilder von Staub, Rost und Verfall, aber ziemlich literarisch. Ein guter Beitrag zur „Mittelmärkischen Museumsnacht“.
Hans-Jochen Röhrig moderierte, las auch selbst, was Welzkens Texten gut tat. Es stellte sich heraus, dass sich beide aus den frühen Leipziger Jahren kannten, und ausgerechnet Huchel sie wieder vereinte. So erhielt der Abend eine ganz persönliche Note, und er wäre auch eine runde Sache geblieben, gäbe es dieses Internet nicht. Hier ist nun zu lesen, wie sehr jene Aufbau-Parole die Aktivisten von einst inzwischen eingeholt hat, denn als der Neubau von St. Pauli nebst dem Augusteum konkret wurde, wandte man sich logischerweise an sie. Aber nicht alle Verschworenen von damals, heute allesamt hochakademische Köpfe, sind sich noch einig. Man schreibt Bücher und Gegenbücher, Artikel und Gegenartikel, diskutiert im Internet und in Leipzigs Öffentlichkeit, wie das damals nun war. Solche Langzeitwirkung über vierzig Jahre hinweg gibt dieser Sache natürlich eine besondere Würze. Man hätte das im Huchel–Haus zumindest erwähnen können.
Gerold Paul
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