
© Eva Schmidt
Potsdam-Mittelmark: Ein Jahrhundert für die Orgel
Ilse von Zadow feiert am Sonntag in Caputh ihren 100. Geburtstag – mit einem ganz besonderen Geschenk
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Schwielowsee – Zum Geburtstag bekommt Ilse von Zadow eine „Posaune 16 Fuß“. Am Sonntag, wenn sie ihren Hundertsten mit einem Gottesdienst in der evangelischen Kirche in Caputh feiert, ist ihre geliebte Orgel um eine Pfeifenreihe reicher, das Bassregister. Der Klang wird noch voller und runder. Und wer seine Ohren spitzt, kann jetzt aus den Bässen auch eine Posaunen oder ein Fagott heraushören. Viele Jahre hat Ilse von Zadow die Orgel in der Kirche gespielt, jetzt wollen die Augen nicht mehr.
Die kleine Frau mit den kinnlangen weißen Haaren vor ihrem runden Geburtstag zu treffen, ist nicht einfach. Nach wie vor ist sie viel beschäftigt, zieht zu Hause noch alle Register. Wenn es an der Tür klingelt, ist sie schnell aufgestanden und öffnet. Flink läuft sie voraus, bittet ihre Gäste, Platz zu nehmen. Wenn man sie sie so sieht, will man eigentlich ihr den angebotenen Sessel geben. Aber nein, sie bleibt stehen, schaut sich prüfend um, zupft an der Tischdecke. Erst dann setzt auch sie sich endlich hin. Die 100 Jahre merkt man ihr nicht an.
Nur das mit dem Orgelspielen, das funktioniert nicht mehr so gut. Ihr ältester Sohn, Dankwart von Zadow, wird beim morgigen Festgottesdienst für sie spielen. Damit gibt die Organistin nun endgültig das ab, was sie ihr Leben lang begleitet hat: die lange Holzbank, die Ruhe hoch oben auf der Empore, das vorsichtige und energische Spiel auf den Tasten. Zu der Caputher Orgel hat Ilse von Zadow ein ganz besonderes Verhältnis. Ihr und ihrem mittlerweile verstorbenen Mann, Reimar von Zadow, ist es zu verdanken, dass in der evangelischen Kirche in Caputh überhaupt eine funktionstüchtige Orgel steht.
Mit Feuereifer hatte sich das Ehepaar für einen Orgelneubau eingesetzt. „Wenn wir schon hierherziehen, dachten wir uns damals, wollten wir wenigstens eine Orgel haben“, erinnert sich Ilse von Zadow. Sie starteten eine große Spendenaktion. Bis die Orgel 2005 endlich wieder erklang, musste Ilse von Zadow mit einer elektronischen Orgel vorliebnehmen. Seither findet jedes Jahr der Caputher Orgelsommer statt. Es fehlte nur noch das Bassregister.
Ilse von Zadow sieht der Einweihung ihres Geschenks gelassen entgegen: „Mal abwarten, wie das klingen wird.“ Ein Jahr lang hat sie um Spenden für ihr Geburtstagsgeschenk geworben. Immerhin kostet so ein Bassregister 23 000 Euro. Davon zahlten 15 000 Euro die Kirchengemeinde, der Rest wurde gespendet. Ihre einzige Sorge: „Hoffentlich hat mein Sohn genug geübt“, sagt die Mutter von fünf Kindern.
Aufrecht und mit ausgestreckten Armen übte sie fast täglich an der großen Orgel. Die zierliche Frau kam mit ihren Füßen gerade noch an die Holzpedale. Ihr Amt als Organistin der Caputher Kirche hat sie erst mit 80 Jahren angetreten. „Aufhören musste ich dann mit 95“, sagt sie und fügt eine kurze dramatische Pause ein. Dann gibt sie energisch die Erklärung dafür: „Weil ich mir mein Handgelenk gebrochen hatte, nachdem ich von der Orgeltreppe gefallen bin.“ Sie ärgert sich, wie es scheint, noch heute darüber. Aufhören – nein, das wollte sie nicht.
Ein Blick zurück: Wie fing das mit dem Orgelspiel eigentlich an? „Warten Sie, jetzt muss ich mal kurz überlegen“, sagt die Organistin, die ihre Besucher mit Tee und Christstollen bedient. Ein Schluck aus der Tasse mit Schwarztee – flink sind nach wie vor einige ihrer Bewegungen – und ihr fällt es wieder ein. „Das Orgelspiel hab ich gelernt, da war ich noch jung und schön.“ Sie lacht kurz auf. Sie sei in Magdeburg geboren, war mit ihrer Mutter als kleines Kind im Ersten Weltkrieg nach Wernigerode geflüchtet. „Und da haben die Organisten mich auch mal auf der Orgel spielen lassen.“
Eine richtige Ausbildung sei das nicht gewesen. Und bis sie professionell unterrichtet wurde, sollte es noch dauern. „Da war ja der Krieg und dann die Kinder“, sagt sie und nickt mit dem Kopf. Krieg und Flucht – Ilse von Zadow musste das gleich doppelt erleben: „Ein furchtbares Jahrhundert war das.“ Nach dem Zweiten Weltkrieg landeten sie und ihr Mann als Flüchtlinge in Greifswald. Dort besuchte die damals 33-Jährige die Kirchenmusikschule. Der Vorteil: „Als Student hat man mehr Essensmarken bekommen.“ Ihren Abschluss als Organistin machte sie 1947.
Wenn in Caputh über Orgelmusik gesprochen wird, kommt automatisch die Familie von Zadow ins Spiel. Die Begeisterung für die Orgelmusik mit ihren großen und satten Klängen hat erst die Familie in die Gemeinde gebracht, als sie 1994 an den Schwielowsee zog. „Eine Frau sagte mal, die Orgel sieht so schön aus, da habe ich laut dazwischengerufen: ,Aber sie ist tot!’“ Jetzt lebt sie wieder.
Bach zu spielen sei das Größte für eine Kirchenmusikerin, sagt Ilse von Zadow. „Aber dafür hätte ich noch mehr üben müssen.“ Das Üben sei überhaupt das Allerwichtigste. „Ich hab mir immer viel Mühe gegeben.“ Aber Üben, das gehe jetzt nicht mehr. Die Augen lassen nach, allein kommt sie nicht mehr in die Kirche. Was ihr bleibt, ist die Sehnsucht nach der Orgel, sagt Ilse von Zadow mit einem leisen Seufzer. Und sonntags der Klang der „Posaune 16“.
Der Festgottesdienst findet morgen in der Evangelischen Kirche, Straße der Einheit 1, um 10 Uhr statt. Schwielowsees Bürgermeisterin Kerstin Hoppe wird Ilse von Zadow im Gemeindehaus um 11 Uhr gratulieren.
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