KulTOUR: Ein Mann, der zu viel wusste Open Air in Werder: Hitchcocks „39 Stufen“
Werder (Havel) - Was erwartet man denn von einem guten Krimi? Originalität, Humor, Spannung, Intelligenz, Unterhaltung – und die Lösung des Problems.
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Werder (Havel) - Was erwartet man denn von einem guten Krimi? Originalität, Humor, Spannung, Intelligenz, Unterhaltung – und die Lösung des Problems. Früher war das Standard, bei Edgar Wallace und Alfred Hitchcock, bei Agatha Christie und anderen Klassikern der englischen Schule. Die Inflation der Geistlosigkeit hat diesen Anspruch längst gefressen. Routine ist an die Seite der Originalität getreten, Intelligenz scheint es nur noch in Münster zu geben, dafür wird immer brutaler gezeigt, was in den klassischen Zeiten stets nur dezent angedeutet wurde: Mord, Blut, die Technik des Verbrechens.
Vor einem solchen Hintergrund ist die Entscheidung der Werderaner Comédie Soleil, auch in diesem Jahr einen Sommer-Krimi-Klassiker auf Petzows Freiluftbühne anzubieten, schon mal Silber wert. Wenn es sich dann auch noch um Hitchcocks „39 Stufen“ handelt, umso mehr. Der Brite John Buchan hatte 1915 den gleichnamigen Roman über eine mysteriöse Verschwörung am Staat durch eine ausländische Macht veröffentlicht, Alfred Hitchcock machte 1935 einen Film daraus, Patrick Barlow später eine Bühnenfassung – Grundlage für ein amüsantes und übermütiges Sommertheater am lieblichen Ufer des Glindower Sees unterhalb der Schinkelschen Kultur-Kirche. Am Freitag war bei gutem Wetter Premiere, leider blieb der Ansturm von Besuchern aus.
Barlows Fassung ist vor allem Episodenhandlung quer durch Schottland und Britannia. Wie das manchmal so frommt, wird der Kanadier und schöne Mensch Richard Hannay (Michaela Wrona) unversehens in eine Spionagegeschichte verwickelt. Als ihm eine britische Gegenspionin mit Schere im Rücken mausetot in die Arme sinkt, muss er Fersengeld geben, denn in ihm vermutet man ihren Mörder. Sehr aktuell: Wer zu viel weiß, ist bald hin! Er begegnet Bauern und Schotten, Handlungsreisenden und Bobbys, flieht wie Richard Kimble einst im Schwarz-Weiß-TV, wird zum Schwarm sämtlicher Frauen. Und natürlich ist auch das Haupt der Verschwörung, der verkürzte Kleinfinger, mit von der Partie, inkognito, versteht sich. Nach witzigen und aberwitzigen Situationen sind die Bösen enttarnt, ist „Ende gut“ zugleich „alles gut“, mit einem Happy End samt Kuss ist nach gut zwei Stunden Spielzeit Schluss.
Während es in Film und Bühnenfassung vor Figuren nur so wimmelt, hat es Regisseurin und Mitspielerin Karoline Hugler mit viel Humor geschafft, Hitchcocks Personage durch nur drei Akteure wiedergeben zu lassen. Hannay ist ja die „stehende Figur“ im Spiel, einer ohne Verwandlung. Ein Gaudy für Tobias Grabowski und Hannes Lindenblatt, per Turbo-Kostümwechsel Männlein und Weiblein aller Coleur zu spielen, Schutzmänner, Spione, Handlungsreisende. Freilich, wo man ein solches Füllhorn von Ideen ausgießt, geht auch mal etwas daneben auf dieser Off-Bühne voller Kisten und Koffer: Klamauk und Strieselei auf Kosten der dramatischen Substanz. So verlor sich auch mal das Maß, bei dem sich wie ein hirnloser Affen benehmenden „Mr. Memory“. Na ja, leicht genommen – leicht befunden, wie das beim Sommertheater so ist. Im Ganzen war das teils epische, teils comedy- und slapstickartige Spiel schlichtweg übermütig, albern, schrill, mal ironisch, mal satirisch, jedenfalls unterhaltsam. Zu wünschen bliebe mehr Publikum für diesen wirklichkeitsnahen Klassiker im „Inselparadies Petzow“. Man geht nicht umsonst! Gerold Paul
3. bis 5. sowie 10. bis 12. Juli, jeweils 20 Uhr, Petzow, Grelle 12–15
Gerold Paul
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