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Potsdam-Mittelmark: Ein Schubser ins kalte Wasser

Ein schwerer Start: Zwei Ich-AG aus der Region ziehen Bilanz

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Ein schwerer Start: Zwei Ich-AG aus der Region ziehen Bilanz Potsdam-Mittelmark - Die Zweifel, ob sie alles hinschmeißen soll, kommen Nadja Koch (39) noch regelmäßig. Vor kurzem meldeten sich an einem Tag drei neue Klienten bei ihr, das gab ihr wieder einen Schub. Gut ein Jahr ist es her, dass die Psychotherapeutin sich in Teltow selbstständig gemacht hat – als Ich-AG. Zwischenbilanz: Es reicht noch nicht zum Leben. Da ihr Mann arbeitet, kann sie sich den Ausflug in die Selbstständigkeit leisten. Ende offen. Alle reden über Hartz IV. Da geraten andere Arbeitsmarktreformen ein wenig in Vergessenheit. Die Ich-AG wird vielleicht für manchen Arbeitslosen, der jetzt in die Sozialhilfe rutscht, interessant. Im Bereich des Arbeitsamtes Potsdam ist die Zahl der Neugründungen im ersten Halbjahr 2004 deutlich höher als im Vorjahreszeitraum. Da gab es 677 neue Ich-AG“s, in diesem Jahr 1128. Nadja Koch war anderthalb Jahre arbeitslos. Vorher war sie zur Arbeit nach Wittenberg gependelt. Doch weil dabei das gesamte Geld für Kinderbetreuung und Benzin draufging, kündigte sie. Sie bewarb sich im Berliner Raum, doch da gibt es viele arbeitslose Psychologen. So wuchs die Idee, sich selbstständig zu machen, die Ich-AG kam ihr wie gerufen. Doch der Start war ein Sprung ins kalte Wasser. Da es für ihre Spezialisierung keine Kassenzulassung gibt, müssen ihre Klienten die Beratung selber zahlen. Hinzu kämen andere Vorbehalte: „Die Deutschen sind der Meinung, man muss mit seinen Problemen selber fertig werden.“ Zwei Monate dauerte es, bis Nadja Koch ihr erstes Beratungsgespräch hatte, zurzeit kommen zehn Menschen regelmäßig zu ihr. Mit der Vermarktung tut sie sich nach eigenem Bekunden bisher schwer: „Das liegt mir nicht, ich bin ausgebildet, Menschen zu helfen.“ Etwas mehr Unterstützung vom Arbeitsamt fände sie da nicht schlecht. Der Gedanke, wieder in fester Anstellung zu arbeiten, bleibt im Hinterkopf. Die Arbeit macht ihr zwar Spaß, die freie Zeiteinteilung schätzt sie. Doch ihr fehlt der Austausch mit Kollegen. Jürgen Gutzmann berät beim Teltower Arbeitslosen-Verein eine Reihe von Existenzgründern. Er hält den Schritt nur für Erfolg versprechend, wenn man die Branche vorher schon kennt und auf einen Kundenkreis bauen kann. Denn mit der Unterstützung vom Arbeitsamt sind keine großen Sprünge möglich. Von 600 Euro monatlich im ersten Jahr gehen allein knapp 400 für Sozialleistungen weg, rechnet Gutzmann vor. Im zweiten Jahr bleibe dann gar nichts mehr übrig. Diese Erfahrung hat auch Uwe Rapke gemacht. Der Stahnsdorfer verlor 2001 seinen Job als Bauningenieur. Während er Bewerbungen schrieb, nutzte er nebenher seine Kontakte, um kleinere Aufträge zu bearbeiten. „Als ich dann ein komplettes Haus planen sollte, musste ich mich ohnehin abmelden“, erzählt er. Also nahm er die Förderung des Arbeitsamtes mit. Eine Teilnahme an einem Existenzgründerseminar lehnte er ab: „Das Know-how hatte ich schon, die Kosten musste ich nicht produzieren.“ Lieber hätte er eine Fortbildung zum Sicherheitskoordinator gemacht. Diese, wie er sagt, wichtige Zusatzqualifikation versagte ihm aber das Arbeitsamt, weil kein Anbieter eine Zerfizierung hat. Die Geschäfte laufen aber nicht schlecht, Rapke bekommt Aufträge. Er hat seine Ausrichtung verändert, macht inzwischen für private Bauherren komplette Entwürfe. Aber richtig zufrieden ist der 39-Jährige noch nicht. In gut bezahlter Festanstellung könnte er mehr verdienen, außerdem die Unsicherheit. Gern würde er sich auch ein eigenes Büro leisten, doch dazu reichen die Einnahmen nicht. Pessimistisch ist Rapke deswegen nicht: „Vielleicht fange ich nochmal etwas ganz anderes an.“

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