Potsdam-Mittelmark: Ein Tick fürs Alte
Wie Heidemarie Garbe ihr Elternhaus in Werder zur Muckerstube machte und das Heimatmuseum in wenigen Jahren fast überall bekannt wurde
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Werder (Havel) - Die alten Werderschen haben aus allem etwas gemacht – nach Weihnachten auch aus der geschälten Spitze des Tannenbaums. Die Muckersche verschwindet in der Küche und kehrt mit einem hölzernen Quirl zurück. Die abgesägten Enden der letzten Astreihe ragen daraus wie ungekämmte Haare heraus. Ein Freund hat den Astquirl für die Muckersche nachgebaut, die im wahren Leben Heidemarie Garbe heißt. „Wobei mich Werderaner inzwischen fast nur noch mit ,Muckersche’ ansprechen.“
In dieser kostümierten Gestalt betreibt sie, ausgestattet mit einer gehörigen Portion Mutterwitz, seit sechs Jahren ein quicklebendiges Heimatmuseum in der Brandenburger Straße in Werder. Das Vertico und der Spiegelschrank gehören zur Aussteuer der Großtante von 1910, darin Kaisers Kaffeegeschirr aus derselben Ära. Unter dem alten Plüschsofa dort in der Ecke habe sie als Kind oft gelegen. „Wenn ich aus den Troddeln Zöpfe geflochten habe, gab es Ärger.“ Alles hier erweckt die 62-Jährige mit ihren lachenden Augen zum Leben.
Dann macht sie auf einen aus wenigen Leisten gezimmerten, mit bunten Bändern geschmückten, anderthalb Meter hohen Kegel aufmerksam, der in Werder noch bis in die 1920er-Jahre der wichtigste Weihnachtsschmuck gewesen sei. Gymnasiasten haben ihn für die Heimatstube nachgebaut. Der Christbaum habe auf der abgeschlossenen Insel ja erst spät seinen Siegeszug angetreten. So spaziert die Muckersche durch die Jahrzehnte und unmerklich verrinnt die Zeit.
„Für mich ist das eine Mission. Wenn wir Alten nicht erzählen und zeigen, was war – woher sollen es die Jüngeren dann erfahren?“ Dabei war es ein langer und bisweilen steiniger Weg, bis aus Heidemarie Garbe die Muckersche wurde. Das Haus der Heimatstube ist ihr Elternhaus. Ihre Großeltern waren im Obstbau verwurzelt, ihre Eltern betrieben den Obst- und Gemüsehandel Tobner in Glindow. An sich wollte sie nach der Schule Ökonomie studieren, vielleicht den Laden übernehmen. „Als Kapitalistentochter war ich in dem Studiengang aber nicht erwünscht.“
Nach einem Fachabitur bei der Gärtnerischen Produktionsgenossenschaft „GPG Pomona“ wurde sie zum Gartenbaustudium in der Berliner Humboldt-Universität „delegiert“. Zurück in Werder wurde sie wissenschaftliche Mitarbeiterin, beschreibt mit bitterer Miene, wie sie in einem Forschungsprojekt Äpfel auswiegen sollte. „Mein Chef hat mich dann bald als Disponentin eingesetzt.“ Das habe ihr schon besser gefallen. Ein Werdersches Original war sie schon immer. Sie brauche viel Kontakt zu Menschen.
Später hat sie die Sortierung geleitet, war Handelsleiterin des Apfellagers. Vom Feld direkt zum Kunden – das sei keine Erfindung der Neuzeit, sagt Garbe. „Das hat es schon damals gegeben. Die Erdbeeren sind in Gitterboxen verpackt direkt in die Geschäfte geliefert worden.“ Nicht allem, aber manchem aus der DDR trauere sie ein wenig nach, wie sie gesteht.
Als der damalige Bundeslandwirtschaftsminister Ignaz Kiechle (CSU) zur Wendezeit erklärt habe, dass es im Westen keine Genossenschaften gebe, hätten es einige viel zu schnell geglaubt. Heidemarie Garbe startete einen Neuanfang in der neuen Erzeugerorganisation Werder Frucht. Nach einigen Jahren hätten sie die „Unbilden des Lebens erfasst“, an Einzelheiten zu Pleite und Verkauf will sie lieber nicht erinnert werden.
Ihre Tochter habe ihr damals gesagt, sie solle was tun, das ihr Spaß macht. Immerhin bestand ja noch das Elternhaus mit einem Dachboden, der gefüllt war mit historischen Requisiten. „Es war die Frage, was man damit anfangen kann.“ Wenn es in der Verwandtschaft Haushaltsauflösungen gab, habe die Mutter viele Stücke einfach nicht wegwerfen können. „Meine Sippe hatte seit Generationen einen Tick für das Alte.“ Das gilt auch für Heidemarie Garbe: Als Hobby hatte sie die Stadtgeschichte schon immer „inhaliert“, Besucher als Stadtführerin über die Insel begleitet. „Dass ich in hohem Alter damit selbstständig werde, hätte ich nie gedacht“, sagt die 62-Jährige.
Alles in der Muckerstube habe sie dann eingerichtet, wie sie es von der Großtante kannte, im Stil des beginnenden 20. Jahrhunderts. Die Küche als zentraler Raum, die Regale mit dem guten Porzellan und der handbemalten Vase weit oben, dass man nicht so leicht rankommt. Die gute Stube, wo man aufrecht sitzt und die Hände parallel auf dem Tisch liegen, da ist sie streng, die Muckersche.
Ihre Stammgäste sitzen lieber in der Küche, in der sie historische Gaumenfreuden serviert. Auf dem Tisch stehen Großmutters Kartoffelkuchen und Haferflockenplätzchen nach einem Kriegsrezept, dass sie vom Sütterlin übertragen musste. Und aus der Küche duftet es verführerisch nach Sauerkraut und Hühnchen für die Gäste, die sie morgen erwartet. „Ich weiß nicht, wie zäh das Luder ist.“
Nach vier Jahren sei die Muckerstube „deutschlandweit bekannt“ gewesen. „Nur ein paar Werderaner wussten noch nicht, wo sie ist.“ Als sie anfing, habe sie noch gedacht: „Die Leute wären dumm, wenn sie nicht annehmen, was ich zu bieten habe.“ Sie sei authentisch – und deshalb unschlagbar. So hat sie auch die Abschiedsformel ihres Vaters im Gemüseladen für die Muckerstube übernommen: „Sie haben mir eine Verehrung gegeben. Beehren Sie mich bald wieder und empfehlen Sie mich weiter.“ Garbe betrachtet die beiden Sätze bis heute als Geschenk: Es gebe nichts Wertvolleres als Mundpropaganda. Das galt bei Gemüse-Tobner, und das gilt bei ihr.
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