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Potsdam-Mittelmark: Eine halbe Flasche Obstwein

Der 25. April beim Baumblütenfest ist immer noch Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen

Stand:

Werder (Havel) - Seine Festnahme war Anlass für die heftigsten Ausschreitungen, die es seit 1990 auf einem Baumblütenfest in Werder gegeben hat. Doch auf eine Anzeige gegen prügelnde Polizeibeamte wird der Potsdamer Michel A. wohl verzichten. Sein Rechtsanwalt Hans-Jürgen Kernbach hat ihm davon abgeraten, nachdem er jetzt die Strafakte seines Mandanten einsehen konnte. „Ich sehe keine Erfolgaussichten“, sagte Kernbach gegenüber den PNN.

Vier Polizisten haben ausgesagt, dass Michel A. am Abend des 25. April Polizeibeamte in der Uferstraße mit den Worten „Wichser“, „Penner“ und „Spast“ beleidigt, sie getreten und bespuckt habe. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen „Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte“. Bemerkenswert: Die Aussagen sind teils bis auf die Kommastellen identisch. Michael A. war den Aussagen zufolge in ein Handgemenge verwickelt, das ein Polizeizug auflösen wollte. Die Beamten begegneten seiner Gegenwehr demnach mit „einfacher körperlicher Gewalt“. Er wurde gefesselt und zu Boden gebracht.

Rundum stand eine Menschentraube, die Stimmung war an jenem Festsamstag schon seit den Mittagsstunden aufgeheizt. Jetzt schaukelte sie sich hoch, umstehende Jugendliche solidarisierten sich mit Michel A., wie drei der Polizeibeamten aussagten. Als er abgeführt werden sollte, wollten die Umstehenden es verhindern. Rund 150 Jugendliche griffen den Polizeizug an und bewarfen die Beamten mit Steinen, Flaschen, Bänken und Verkehrszeichen. Vier Polizisten wurden verletzt. Nur durch das Zusammenziehen zusätzlicher Kräfte habe man weitere Übergriffe verhindern können, wie es damals von Polizeiseite hieß. Die Ermittlungsakten von 14 Tatverdächtigen wurden erst jetzt der Staatsanwaltschaft übergeben. Sie ermittelt wegen Landfriedensbruchs, wie Sprecher Ralf Roggenbuck gestern bestätigte.

Michel A. wird von dem Aufruhr derweil nicht mehr viel mitbekommen haben, er hatte noch dreieinhalb Stunden danach 1,63 Promille Alkohol im Blut. Bei der Blutuntersuchung wurde auch Cannabis nachgewiesen, wenngleich Michel A. beteuert, nur eine halbe Flasche Obstwein getrunken zu haben. Er ist kein unbeschriebenes Blatt und wegen Diebstahls, Körperverletzung und Sachbeschädigung polizeibekannt. Im April lief noch eine Bewährungszeit des 21-jährigen.

Der sieht sich selbst als Opfer polizeilicher Willkür: Er sei an jenem Abend zu einem prügelnden Freund geeilt, um ihn zur Seite zu ziehen und zu beruhigen. „Dann droschen fünf Polizisten auf beide ein, warfen meinen Mandanten zu Boden“, so Rechtsanwalt Kernbach. Mit festem Schuhwerk hätten sie auf ihn eingetreten, mit dem Knie auf den Kehlkopf eingedrückt, bis er bewusstlos geworden sei. Michel A. gibt an, blaue Flecken, Schwellungen und Schürfwunden davongetragen zu haben. Kernbach benennt zwei Zeugen, die von der Staatsanwaltschaft offenbar noch vernommen werden sollen.

Tatsächlich ist auf einem wackligen Youtube-Video, das kurz darauf im Internet aufgetaucht war, zu erkennen, wie hart es an jenem Abend zur Sache ging. Den PNN liegt das Video in unbearbeiteter Form vor. Der Filmer beteuert, dass die umstehende Menschentraube erst durch das gewalttätige Vorgehen der Polizei gegen Michel A. aufgeputscht worden sei. Fakt scheint auch: Die Polizisten wurden an jenem Samstag bis aufs Messer gereizt. Das Video hat, wie die Staatsanwaltschaft erklärte, „derzeit keinen Einfluss auf die Ermittlungen“. Henry Klix

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