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Geschichtsbewusst. Diese Postkarte hat der Verlag 2010 zur Begrüßung des 3000. Einwohners von Wilhelmshorst herausgegeben. Das Foto entstand vermutlich um 1905.

© mvw

KulTOUR: Eine Lanze für die Lyrik

Postkarte, Roman, Poesiealbum – der Märkische Verlag Wilhelmshorst im 16. Jahr seines Bestehens

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Michendorf - Hohe Kiefern-Majestäten machen den schneereichen Frühwinter in Wilhelmshorst besonders schön. Alles trägt reinweiß, auch das baumreiche Grundstück von Klaus-Peter Anders mit dem archaisch anmutenden Haus seiner Großeltern, seit 1994 Sitz des „Märkischen Verlages Wilhelmshorst“. Mögen die kleinen Verlagshäuser auch größere Probleme als die vermeintlich Großen haben, der Verlags-Chef ist nach 16 Dienstjahren nicht unzufrieden. Tessy Borgfelds Buch über Marie Goslich verkauft sich gut, die herrliche Ost-West-Schnurre „Endlich im Westen“ erlebt derzeit sogar ihre dritte Auflage. Auch das legendäre Abi-Verzeichnis der „Humboldts“ gehört hierher.

Angefangen hat das Abenteuer „Verlagsfreiheit“ mit einem schmalen Bändchen zum 50-jährigen Bestehen der Defa, als es das DDR-Unternehmen gar nicht mehr gab. Der legendäre Filmmann Heinz Thiel und Karikaturist Harald Kretzschmar waren die Autoren. Eigentlich wollte der Kommunikationswissenschaftler Anders – er promovierte über das Thema „Mensch und Maschine“ – mit einem Kompagnon ja nur die technisch orientierte DDR-Zeitschrift „Bild + Ton“ über die Zeit-Wende retten, „aber der Markt ignorierte uns einfach, was damals aus dem Osten kam, konnte nichts taugen“, sagt er nicht ganz ohne Bitterkeit. Inzwischen lässt der Verlag vier bis fünf Titel jährlich erscheinen, 60 waren es seit der Gründung zusammen – nicht schlecht. Die Auflagenhöhe von etwa Tausend ist auf einen Vertrieb bis zu fünf Jahren zugeschnitten, im Fachjargon „optionale Größe“ genannt. Daneben viel Kleinarbeit für das Alltagsgeschäft, Klaus-Peter Anders ediert im Auftrag von Verbänden und Vereinen auch mal Broschüren und anderes „Gebrauchs-Druckwerk“, derzeit sind historische Postkarten aus Wilhelmshorst ein ziemlicher Renner, das muss wohl so sein. Aber auch größere Projekte wie die Reihe „Potsdamer Köpfe“, wovon nach Max Dortu und dem Pazifisten Moritz von Egidy nun Anni von Gottdorf aufgelegt wird. Sie spielte in Potsdams „Bekennender Kirche“, die nie so ganz war, was sie eigentlich sein wollte, keine ganz unbedeutende Rolle. Derzeitiges Hätschelkind von Anders aber ist und bleibt das „Poesiealbum“, welches man einst für 90 Ost-Pfennige an jedem Kiosk bekam. „Gute Lyrik zum geringen Preis – eine echte Kulturtat“, so schätzt er das heute noch ein. Mit dem Altherausgeber „Neues Leben“ einigte man sich einvernehmlich, die Reihe in gleichem Layout, aber leicht erweitert, fortzuführen. Das letzte DDR-Heft landete auf der Müllkippe. Anders „übernahm“ ab Nummer 275, jetzt ist er bei 292. Im kommenden Jahr wird Nummer 300 angepeilt. Bundesweit vertreiben 30 Buchhandlungen das edle Stück Lyrik zum Preis von nur vier Euro. Sechs Hefte erscheinen pro Jahr, Abonnenten bekommen zum Jahresende ein Bonusheft extra. In Potsdam gibt es davon sieben Getreue, in Wilhelmshorst bereits einen, ganz schön viel.

Natürlich will der Verleger dergestalt nicht nur eine Lanze für die Lyrik brechen, die ja heute kaum noch öffentlich wahrgenommen wird, er versucht auch, Literatur und Umland enger aneinanderzubinden. Eine Ausgabe von Fontane trägt dazu genauso bei wie die unbekannte Lyrik des Potsdamer Autors Hermann Kasak. Die aktuelle Nummer 292 ist Rose Ausländer gewidmet, der Lyrik-Fachmann weiß da sofort Bescheid. Aber wer wäre das noch im Kaufhaus der ungezählten Romane? Kiefern sind beständiger als sie.

Gerold Paul

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