Potsdam-Mittelmark: Eine Mauer mit Türen und Fenstern
Die Bismarckhöhe in Werder ist Leitthema der „Heimatgeschichtlichen Beiträge 2005“
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Werder - Wo großes entsteht, sind die Maurer manchmal schneller als die Genehmigungsbehörden. Die Erkenntnis ist schon ein wenig älter. Norbert Seidel recherchierte zur Baugeschichte der Bismarckhöhe in Werder: Den Ausbau der Höhengaststätte hatte Inhaber Gustav Altenkirch vor gut 100 Jahren in mehreren Bauetappen in Angriff genommen. „Diese intensive Bautätigkeit ging nicht ohne Spannungen mit der Baupolizei vonstatten“, schreibt Seidel in den „Heimatgeschichtlichen Beiträgen 2005“. Die Bismarckhöhe ist in diesem Jahr das Leitthema der Schriftenreihe des Heimatvereins Werder, die von Vereinschef Baldur Martin herausgegeben wird.
Der Bau des großen Tanzsaals, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag feiert, begann zum Beispiel mit einer Bauanfrage für eine Hofmauer. Turm und kleiner Saal der Höhengaststätte standen seinerzeit bereits. „Erst als der örtliche Polizeisergeant meldet, dass diese Mauer nun bereits eine Höhe von sechs bis sieben Metern habe und eine Tür und vier Fenster beinhalte, erklärte Altenkirch, dass er in der nächsten Wochen ohnehin einen Bauantrag für einen großen Tanzsaal stellen werde“, schreibt Seidel. Am 14. Dezember 1905 fand dann die erste Tanzveranstaltung im Großen Saal statt. Die baupolizeiliche Abnahme erfolgte zwei Jahre später, Altenkirch war wegen noch bestehender baulicher Mängel bereits Haft angedroht worden.
Insgesamt sechs der 17 Artikel verschiedener Autoren der „Heimatgeschichtlichen Beiträge“ widmen sich in diesem Jahr der traditionsreichen Bismarckhöhe, angefangen vom Stand der derzeit laufenden Sanierung bis hin zu den Altenkirchs und ihren Angestellten, die Ulf Lendel näher unter die Lupe nahm. Denn die Bismarckhöhe war nicht nur die größte Gaststätte der Umgebung, sie war ein mittelständischer Betrieb mit Gasträumen, Kegelbahn, Küche, Fruchtweinkelterei und 17 500 Quadratmeter Obstland, in dem zeitweilig ein Wildgehege untergebracht war.
Lendels Recherchen sind durchaus erhellend: Heute ist ein Gaststättenbetrieb mit 20 bis 30 Personen Stammpersonal wohl kaum vorstellbar. In der Saison kamen etwa 50 bis 80 Angestellte dazu. „Die überregionale Fachzeitschrift ,Gaststätte“ war gefüllt mit Anzeigen, in denen Köche, Kellner, Burschen oder Hausmädchen gesucht wurden“, schreibt Lendel. Die Arbeit war vielschichtig: Auch Buchhalter wurden gebraucht, Chauffeure und für das Wochenende Tanzleiter. Allein im Keller arbeiteten ständig bis zu drei Menschen, in den Wintermonaten wurde Personal eingestellt, um den Eiskeller zu füllen Die Familie Altenkirch war überall dabei.
Doch auf der Bismarckhöhe wurde nicht nur gearbeitet – manche Liebschaft nahm ein tragisches Ende. So auch die von Gustav Altenkirch junior, der in seinem Wesen deutlich unentschlossener und wankelmütiger gewesen sein soll als sein Vater. Die attraktive Köchin Elisabeth Hachmann verliebte sich in den Juniorchef. Als Gustav Altenkirch senior ihn zur Heirat drängte, der Junior sich mit der Köchin überwarf, nahm er sich – in betrunkenem Zustand – mit der Pistole das Leben.
Auch in diesem Jahr ist mit den heimatgeschichtlichen Beiträgen wieder ein bunter Ausflug in die Historie Werders gelungen. Weitere Artikel widmen sich der Gründung des Weinbauvereins, der Enteignung des Ritterguts Phöben oder der Obstbau-Leistungsschau im Jahr 1950. Als Exot findet sich in dem Heft ein Beitrag von Horst Stechbarth, Generaloberst der NVA a.D..
Der frühere Chef der Landstreitkräfte, der in Wildpark West lebt, schreibt über den Bau des neuen Werderaner Heizwerks in den 80er Jahren: Weil auf alten Karten in den Havelauen noch ein Flugplatz eingezeichnet war und die Sowjetarmee auf dem Gelände eine Kaserne hatte, wollten die Russen bei der Schornsteinhöhe nicht mitgehen: Statt 120 sollte er nur 80 Meter hoch werden. Stechbarth intervenierte und konnte schließlich 120 Meter durchsetzen: Andernfalls wären durch den Schadstoffausstoß womöglich auch die Sandsteinfiguren von Sanssouci verfallen, wie er schreibt. „Auf einen Dank warte ich heute noch.“
Die „Heimatgeschichtlichen Beiträge 2005“ sind in den Buchhandlungen Von dem Fange, Auf dem Strengfeld 3A und im Buchladen Hellmich, Brandenburger Straße 161, zum Unkostenbeitrag von 4 Euro erhältlich.
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