KulTOUR: Eine Tragödie zwischen Schloss und Schilf
Erstes Open-Air-Sommertheater der „ Comédie Soleil“ im Park Petzow. Zum Start gab es die altgriechische Tragödie „Antigone“
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Werder (Havel) - Altgriechische Tragödien stellen Funktion und Ziel des Theaters noch am reinsten dar. Wer hier zu handeln hat, gerät unweigerlich in Situationen, in denen bald gar nichts mehr geht. Mal sind die olympischen Götter daran schuld, mal der Mensch in seinem dunklen Drange. Eine Lösung muss her – aber jede Entscheidung erweist sich bald als falsch. So nimmt die Tragödie des Menschen stets ihren Lauf.
Die Werderaner Comédie Soleil hat sich für ihr erstes Open-Air-Sommerprojekt im Gutspark Petzow des Sophokles „Antigone“ ausgesucht. Dieses 442 vor Christus in Athen uraufgeführte Stück deckt die ganze Konfliktbreite zwischen Staat und Gesellschaft, Vernunft und Herz, zwischen öffentlich und privat ab, und zwar exemplarisch. Wer das inszenieren will, braucht eine Lösung – und doch wird es stets die falsche sein! Wäre es sonst eine Tragödie?
Ein Podest zwischen Waschhaus und Schilfgürtel gibt die offene Bühne. Darauf ein Thron, und der Rest einer antiken Säule. Weite Wege vom Berg herab für König Kreon, kürzere für die gleichfalls antik gewandeten Schwestern Antigone (Nadja Winter) und Michaela Wrona als Ismene, später auch in anderen Rollen. Die Fassung der Comédie streicht das lange Stück auf eine 90-Minuten-Fassung ein, stellt den Konflikt zwischen Kreon (Michael Klemm) und Antigone, seiner künftigen Schwiegertochter, ins Zentrum. Man räsonniert über Ungehorsam und Staatsräson, über den höchsten Willen des Olympos und die kleine Freiheit des Menschen – beispielweise trotz königlicher Order jenen Polyneikes zu begraben, der sich an Kreons Stadt Theben versündigt haben soll. Antigone hat Mitleid mit dem gefallenen Bruder. Sie widersetzt sich Kreons Befehl, begräbt ihn symbolisch, wird verhaftet und lebend eingemauert, wohin ihr Bräutigam Haimon folgt. Am Ende bleibt Kreon zurück: reuig, verlassen, allein.
Das Ensemble hat sich für eine schlichte Viererbesetzung entschieden. Man spielt eher funktional: Eine furchtfreie Antigone trotzt dem Herrscher mit bester Rhetorik, Ismene erfüllt ihren Part ohne Glanz; später gibt sie die trauernde Mutter des Haimon, bevor auch sie sich entleibt, und den blinden Seher Thereisias. David Segen zeigt etwas Kontur als lanzenbewehrter Bote, sein Haimon ist ohne Inhalt. Über Kreon gibt es wenig zu sagen, er schreitet im Disput nur her und hin, dies rotgewandet, eine Meisterleistung aus Rudis Kostümabteilung. Schmerz, szenisches Figurenspiel, innere Konflikte und Untertext fehlten meist. Das Für und Wider der Geschichte war einfach nicht ausbalanciert, die Situationen kaum ausweglos genug, um Kreons Entschlüsse glaubhaft zu begründen. Er hatte nämlich gar keine Wahl. So neigte die Inszenierung eher zum Diskussionsstück als zur Tragödie. Leider.
Die Musik machten Tobias Hopfgarten und Roberto Russo: sparsam und schön. Kuckuck, Rohrdommel und eine Rotte Haussee-Frösche gaben den natürlichen Chor, Eleven des Ernst-Haeckel-Gymnasiums den theatralischen, wobei Silvia Marx ihren Schützlingen sprachlich und gestisch da einiges abverlangte. Gelegentlich korrespondierte der König mit den Knüppelbewehrten, aus der Distanz. Zuletzt sah man nur noch den bockigen, dann reuigen alten Mann mit „Was habe ich da gemacht!“ auf den Lippen. Späte Einsicht eines Staatsmannes in einem aussichtslosen Spiel? Zu wenig Regie!
24. bis 26. Juni an gleicher Stelle: Shakespeares „Was Ihr wollt“, Beginn 20 Uhr.
Gerold Paul
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