Potsdam-Mittelmark: Einmal Insel und zurück
Entspanntes Reisen zum größten Volksfest Ostdeutschlands: Ein Besuch am ersten Baumblütenwochenende mit dem Schiff
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Werder (Havel) - Das Schiffshorn der MS Sanssouci dröhnt am Anleger der Weißen Flotte. Das Sonnendeck ist voll besetzt, als sich der gelb-weiße Riese am Nachmittag auf die Fahrt von der Langen Brücke in Potsdam zur Werderaner Insel macht – mitten ins Zentrum des Baumblütengetümmels.
Die 135. Ausgabe des Werderaner Volksfestes hat zum Start am Wochenende wieder Zehntausende Menschen zur Inselstadt gelockt. Etliche nutzten dabei die Chance, die Blütenstadt nicht nur per Fahrrad, Bus, Bahn oder Auto zu erreichen, sondern auch mit dem Schiff.
„Auf jeder Fahrt schenken wir hier an Deck etwa 80 große Pils, 40 Berliner Weiße und 40 Hefeweizen aus“, ruft Restaurantleiter Ingo Nitschke über einen der Tische, ehe er zum nächsten Gast an Bord eilt. Direkt nach dem Ablegen in Potsdam balancieren Kellner Tabletts voller Bier über die Gänge – 250 Passagiere sind durstig. Schnell steigt unter dem vorwiegend jungen Publikum die Stimmung. Einige Reisende haben vorgesorgt, packen hartgekochte Eier aus. Wohl um eine gute Grundlage für den folgenden Alkoholgenuss zu legen, sagt Kellnerin Franziska Koch. Bier und Sonne lockerten bei einigen Gästen zudem die Zunge, erzählt die Kellnerin. „Wenn mich aber mal einer 'Mäuschen' nennt, weil er glaubt, zu lange auf sein Bier warten zu müssen, bekommt der 'nen Spruch zurück.“
In der Sonne auf Deck hat es sich Clara Schmidt mit ihren Freunden bequem gemacht. „Die Fahrt hier ist für uns Tradition“, sagt die 31-jährige Potsdamerin. „Die Züge sind voll, mit dem Boot kommt man viel gemütlicher nach Werder“, sagt sie. Als erstes Ziel hat ihre Gruppe den Stadtgarten des Obsthofes Lindicke nahe der Bismarckhöhe, danach wollen sie ein paar Runden auf den Karussells drehen und den Abend gemütlich bei Musik und Tanz ausklingen lassen. „Der Tag ist wie ein Kurzurlaub“, sagt Clara.
Den großen Festumzug hat die Gruppe zu diesem Zeitpunkt schon verpasst. Mit ihm wurde am Samstagmorgen das größte Volksfest Ostdeutschlands eingeläutet. Unzählige Schaulustige säumten die Straßen, als Werders neue Blütenkönigin Franziska Barche im offenen Wagen durch die Stadt chauffiert wurde.
Am Anleger in Werder herrscht am Nachmittag schon Rückstau: Die ersten Besucher wollten nach Potsdam zurück. Alle Fahrgäste müssen über eine einzige Brücke zwischen Schiff und Steg wechseln. Die Schlange der Wartenden reicht kurz nach Ende des Festumzuges bereits mehr als 100 Meter weit.
Nur wenige Meter neben dem Anleger spielen unbeeindruckt vier Männer auf einer Wiese Badminton der anderen Art: Auf Plastikstühlen sitzend, schlagen sie den Ball über das Netz. „Jedes Jahr nach dem Umzug machen wir hier unseren Umtrunk“, sagt Mike Thiede vom Werderaner Badminton-Verein. In diesem Jahr sind sie das erste Mal auf die Idee mit dem Sitz-Badminton gekommen, der eineinhalbstündige Marsch durch die Stadt war zu ermüdend. Wer einmal sitzt, steht auch so schnell nicht wieder auf.
Vom Havelufer geht es weiter in Richtung Inselbrücke, vorbei an singenden Grüppchen. Zwei Touristen mit italienischer Flagge am voll beladenem Tandem bahnen sich ihren Weg durch die Massen. In ihrem Reiseführer war das Blütenfest anscheinend nicht erwähnt. Am Marktplatz passieren sie muskelbepackte Männer, die im Kreis um eine Weinflaschen stehen und aus voller Kehle Ute Freudenbergs Lied „Jugendliebe“ gröhlen.
Vor der Inselbrücke gibt es gegen 16.30 Uhr eine unschöne Szene, als ein Mann vor der Polizei zu flüchten versucht. Er schafft es keine zehn Meter weit, schon hat ihn ein Beamter überwältigt. Die Situation ist in einer Minute erledigt, ohne Aufsehen zu erregen. Nach Angaben der Polizei gab es am ersten Festwochenende keine größeren Zwischenfälle. Bis auf einige Rangeleien unter Betrunkenen sei alles friedlich verlaufen.
Fröhlich feiernde Menschenmassen lassen den Vorfall schnell vergessen. Einige Festgäste tragen Palmen über Werders Straßen, die sie zuvor auf dem Plantagenplatz erstanden haben. Kurz dahinter steht Toni Geißhirt mit seinem Stand vor dem neuen Rathaus. Geißhirt ist mit 17 Jahren wohl der jüngste Obstweinproduzent Werders. Sein Sauerkirsch- und Himbeerwein wurden vom Obst- und Gartenbauverein ausgezeichnet. Die älteren Obstbauern seien aber nicht sauer, dass ein jüngerer ihnen den Rang streitig macht, sagt der Elftklässler. „Die freuen sich, dass Nachwuchs da ist“, sagt Toni ehe er eine Flasche Holunderblütenwein an die nächsten wartenden Kunden verkauft. Vorrat für die Rückfahrt.
Pünktlich um 18 Uhr legt die MS Königswald vom Werderaner Bootsanleger ab. Passagiere genießen die Abendsonne an Deck, die Menschen sind ermattet. Als eine Kellnerin schüchtern fragt, ob noch jemand Getränke möchte, blickt sie in erschöpfte Gesichter. Alles bleibt ruhig. Genug Obstwein und Bier für heute. Der nächste Festtag kommt aber bestimmt.
Zum Blütenfest bis zum 4. Mai fährt die Weiße Flotte ab Donnerstag im Halbstundentakt zwischen 10 und 18 Uhr von Potsdam ab, Montag bis Mittwoch stündlich.
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