KulTOUR: Eisweh, Fernweh, Heimweh
Ilka Raupach hat fast 200 Mauersegler in die Caputher Kirche gescheucht
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Werder (Havel)/Schwielowsee - Wer ein „Apus apus“ ist, gehört bekanntlich zu den schnellsten Jägern der Luft, zu den besten Schläfern im Fluge. Da er beim Schwirren auch zu begatten weiß, muss Apus apus, der „Mauersegler“, wohl auch ein Künstler sein. Fast zweihundert dieser Wundervögel hat die Caputher Künstlerin Ilka Raupach für ihre jüngste Installation aus unglasiertem Porzellan gefertigt und sie als Großfamilie in die Petzower Kirche gescheucht, wo sie noch bis zum Wochenende bleiben.
Sie flattern nach der Ordnung eines Schwarms vor dem Altar herum, und also „den Himmel entlang“, doch fehlt einem jeden das „rußschwarze Gefieder“, wovon die Wissenschaft spricht. Alle sind weiß, als ob ihr Innerstes Reinheit sei. Wäre nur ein getönter darunter, was ließen sich da für Geschichten erzählen, von einer blütenreinen Kirchgemeinde und dem einen rußigen Sünder zum Beispiel. Weil ein solcher Aufreger im Verbund aber fehlt, mithin das notwendig „additive Element“ beim Sehen, wirkt diese Arbeit trotz ihrer schwarmbildenden Raumtiefe leider nur eindimensional.
Für die seit vier Jahren in Caputh wohnende Elfenbeinschnitzerin und Bildhauerin verkörpert die Petzower Fiederbrut freilich „in Bewegung sein und in Bewegung bleiben, Weggehen und Wiederkommen, Ankommen, aber nicht verweilen können“. Unruhe also. Ein unerklärliches Fernweh treibe sie ständig nach Skandinavien, nach Island, Grönland, wo sie sich schon mal in einen ausgehöhlten Eisblock legt, das Material so hautnah spürend, wie sein Vergehen auch. Die offenen, kargen Landschaften des Nordens empfindet sie als „befreiend“: Dort oben könne man noch in den kleinsten Dingen „existenzielle Erfahrungen“ machen, sei es nur im Geröll.
Die Freude am freien Spiel mit Eis und Schnee war schon in der Kindheit, später kam das Interesse für Mammut-Elfenbein (Elefanten sind natürlich tabu) und Knochen-Schnitzen dazu: Spuren legen, auch wenn sie verwehen, Schnee essen, auch wenn er zerschmilzt. Das Bleiben-Sollende bewusst vergehen sehen, sich im zeitlosen Bein zeitloser Elfen zu verewigen, all das wäre eine Seite von Ilka Raupach, die derzeit eine Dozentur in Braunschweig ausfüllt, also pendeln muss, was auch schon mal Heimweh bedeutet. Wie Kälte, Schnee und Eis im borealischen Reich.
Auf der anderen Seite das Feste, das scheinbar Gewisse – Metall, Email, Keramik. Eisen und Stahl verkörpern für sie Kraft, Hitze, in gewisser Weise Beständigkeit. So ist sie, künstlerisch intuitiv, bei den nordischen Mythen angekommen. Die beiden Eddas erklären ja bekanntlich alles Entstehen aus dem Gegensatz und dem Kampf zwischen Hitze und Kälte. Man ginge wohl nicht ganz fehl, dieses Gegenpolige in Ilka Raupach selbst zu vermuten, könnte sie es sonst hervorbringen? Für die Wahl-Caputherin ist „Kunst“ ihre Sprache, ihr Ausdruck, ein Gegenüber ihrer selbst, auch wenn sie den stählernen Igel baut. Beides will sie, Vergänglichkeit und Dauer, sie will Zeichen setzen im Hoffen, dass sie doch blieben. Eisweh, Fernweh, Heimweh scheinen dabei die inneren Koordinaten zu sein, wie Schnee und Stahl die äußeren. Die Polung heißt „Nord“, ganz nah am Reich der Hyperboreer. Das ist schon wie ein Geheimnis. Dort ist ist dann auch der Flug der schwirrenden Vögel zu Ende, dort nennt man ihr rußschwarzes Gefieder sicherlich „rein“. Aber wer wüsste das schon, ein Apus hinterlässt schließlich keine Spur...
Die Installation ist letztmalig am 23. und 24. April von 11 bis 18 Uhr in der Petzower Kirche zu sehen
Gerold Paul
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