Interview mit Kinderschutzbeauftragten: „Erst mal ganz ruhig bleiben“
Am Mittwoch treffen sich Erzieher, Lehrer und Jugendsozialarbeiter in Teltow. Es geht um sexuelle Gewalt gegen Kinder und darum, wie man schneller und besser Fälle von Misshandlungen an Kindern einschätzen kann. Gerade bei einem Mißbrauchsverdacht müssen Fachkräfte sensibel vorgehen.
Stand:
Frau Wolff, heute kommen in Teltow Kitaerzieher, Lehrer und Jugendsozialarbeiter zusammen, um Fälle von sexueller Gewalt gegen Kinder früher und besser einschätzen zu können – haben sich die Fälle in letzter Zeit gehäuft?
Nein, es gibt aktuell keine gehäuften Fälle. Dennoch steigt die Zahl der Verdachtsfälle auf Kindeswohlgefährdung in den letzten Jahren kontinuierlich an. Waren es 2012 noch 95, sind es 2015 175 Fälle. Auf unserem Netzwerktreffen sollen Fachkräfte Übung darin bekommen, Gefährdungslagen einzuschätzen. Besonders sexuelle Gewalt ist emotional stark besetzt, das bringt die Fachkräfte in Aufruhr, dabei ist es wichtig, bei einem Verdacht erst mal ganz ruhig zu bleiben.
Warum?
Weil es ein sehr heikles Thema ist, der Dialog mit den Eltern sehr schwer sein kann und man sich gut überlegen muss, wann man die Eltern miteinbezieht, damit man das Kind nicht durch übereilte Schritte noch stärker gefährdet.
Wie erklären Sie sich die Zunahme der Verdachtsfälle im Potsdam-Mittelmark?
Das ist schwierig zu sagen. Sicher, viele Fachkräfte und auch viele Bürger sind für das Thema in den letzten Jahren sensibler geworden. Nicht in allen Verdachtsfällen liegt eine Kindeswohlgefährdung vor – manchmal melden auch besorgte Nachbarn etwas dem Jugendamt, was sich bei genauer Prüfung doch anders zeigt. Wichtig ist für Erzieher und Lehrer, dass sie aufmerksam und empathisch auf das Kind schauen und Hilfe anbieten.
Auf dem Programm stehen bei Ihrem Treffen heute auch Übungen zur Fallarbeit. Bei welchen Anzeichen sollten bei den Erziehern die Alarmglocken läuten?
Es gibt sogenannte „gewichtige“ Anhaltspunkte, die das äußere Erscheinungsbild des Kindes, sein Verhalten, das Verhalten der Erziehungsperson und die familiäre Situation miteinbeziehen.
Das heißt?
Wenn ein Kind mit Verletzungen in die Kita kommt, unangemessen bekleidet, in einem schlechten körperlichen Zustand ist, sind das Warnsignale. Auch wenn es zuvor ausgelassen und fröhlich war und plötzlich traurig, aggressiv ist oder die Schamgrenzen der anderen verletzt, deutet das in die Richtung. Fachkräfte sollten auch darauf achten, wie Eltern mit ihren Kindern umgehen. Auch wenn Eltern sich trennen oder finanzielle Probleme haben, zum Beispiel durch plötzliche Arbeitslosigkeit, das sind Faktoren, die noch hinzukommen können.
Aber haben Erzieher oder Lehrer so gute Einblicke in das Leben einzelner Familien?
In der Kita erlebt man eine gute Vertrauensbasis häufig, da ist man recht nah beieinander. In der Schule wird das schon schwieriger, da sehen die Lehrer manche Eltern nur am Elternabend.
Was passiert denn, wenn eine Erzieherin den Verdacht hat, dass eines ihrer Kitakinder sexuell missbraucht wird?
Für Erzieher in Kita und Hort ist gesetzlich geregelt, dass sie eine weitere Kollegin um eine Einschätzung bitten muss. Oft wird auch die Leitung hinzugezogen. Stimmen die Beobachtungen überein, wird ein externer Sozialpädagoge oder Psychologe mit Schwerpunkt Kinderschutz hinzugezogen. In Kleinmachnow sitzt zum Beispiel eine Fachstelle für sexuelle Gewalt. Und dann überlegt man sehr genau, bei Missbrauchsfällen, wann und ob man die Eltern miteinbezieht. Der Fall wird dem Jugendamt gemeldet. Bei anderen Verdachtsfällen wird die Leitung zunächst das Gespräch mit den Eltern suchen und auf Hilfen hinweisen.
Gibt es auch so ein Schema in Fällen, in denen Pädagogen Missbrauch oder Gewalt gegen Kinder vorgeworfen wird?
Für Kitas gibt es im Landkreis eine Kitafachberatung, an die können sich Kitaleiter wenden, wenn sie den Verdacht haben, dass eine Erzieherin übergriffig wurde. Der Fall wird dann geprüft. Bei Schulen ist das diffuser, da kann ich schwer sagen, wie das Kontrollsystem verläuft. Bei Trägern von Jugendeinrichtungen wird in solchen Fällen wiederum das Jugendamt des Kreises und des Landes eingeschaltet. Manche Träger haben bereits auch eigene Schutzkonzepte und sind damit schon ganz gut aufgestellt.
Das Interview führte Eva Schmid
Heike Wolff (58) ist studierte Sozialarbeiterin und arbeitet seit 2010 in der Verwaltung des Landkreises als Kinderschutzfachkraft sowie als Koordinatorin für Frühe Hilfen.
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