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KulTOUR: Es summte wie im Bienenstock

Teltower Kirchenchor knüpfte in Estland musikalische Kontakte

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KulTOURTeltower Kirchenchor knüpfte in Estland musikalische Kontakte Teltow - Das strahlende Blau des Himmels fällt Bernd Metzner zuerst ein, wenn er von Estland berichtet. Aber vor allem die zurückhaltende Art der Menschen aus dem Baltikum beeindruckte den Kantor der Teltower Andreaskirche, der vor einigen Tagen mit Chor und Orchester von einer einwöchigen Konzertreise aus Estland zurückkehrte. „Glattes Lächeln ist den Leuten dort fremd und beinahe zuwider“, sagt er und war deshalb überrascht von der enthusiastischen Reaktion des Publikums nach dem ersten Konzert in Viljandi. Die Besucher in der gut gefüllten Johanniskirche applaudierten nicht nur, sondern standen sogar auf und einige kamen spontan nach vorn, um sich zu bedanken. Auch bei den fünf folgenden Konzerten in Pärnu, Poltsamaa und Kolga-Jaani erlebte Metzner ähnliches. Jeder Auftritt forderte Improvisationstalent, aber genau das schweißte Chor und Orchester zusammen. Vor Konzertbeginn „lag ein Kribbeln in der Luft und danach summte es wie im Bienenstock", beschreibt Metzner die Atmosphäre der Konzerte. Dabei habe der Chor sich hohen musikalischen Ansprüchen stellen müssen, denn die Esten gelten als singendes Volk mit traditionellen Sängerfesten. Deswegen durfte im Exkursionsprogramm der Sängerfestplatz Lauluväljak nicht fehlen, der etwas außerhalb von Tallinn liegt und eine große Rolle bei der „singenden Revolution" im September 1988 spielte. Damals versammelten sich etwa 300000 Esten, die verbotene estnische Volkslieder sangen und gleichzeitig politische Forderungen stellten. Noch drei Jahre zuvor wurde solch programmwidriges Singen mit Zwangsarbeit in Sibirien bestraft. Schon zu Stalins Zeiten wurden Zehntausende von Esten willkürlich in sowjetische Arbeitslager deportiert. Das hat Wunden hinterlassen, wie Metzner aus Gesprächen erfuhr. Heute wird die russische Bevölkerung ausgegrenzt, indem hohe Hürden für die estnische Staatsbürgerschaft aufgestellt werden. Vor allem das Beherrschen der estnischen Sprache ist ein wichtiges Kriterium. Im musikalischen Gepäck des Teltower Kirchenchores waren auch zwei estnische Lieder, neben Werken von Bach, Händel, Telemann und Mendelssohn-Bartholdy. „Die Lieder kamen gut an, auch sprachlich sei uns das sehr gelungen, meinten unsere Gastgeber", freut sich Metzner. Mehrere Wochen zuvor hatte der Chor mit Hilfe einer Dolmetscherin an der schwierigen Aussprache mit den vielen doppelten Vokalen und Konsonanten gefeilt. Aber auch deutsche Volkslieder wurden bei einem abendlichen Treffen in Poltsamaa mit dem dortigen Gemeindechor gesungen. Das gemeinsame Singen brachte die Leute einander näher und Bernd Metzner lud den Chor zu einem Gegenbesuch nach Teltow ein. Ob einmal eine Partnerschaft daraus wird, wagt er nur zu hoffen, die Konzertreise habe jedenfalls gezeigt, dass Musik eine Brücke in die neuen EU-Länder sein kann. Eingeprägt hat sich Bernd Metzner auch der Löwenzahn auf den weiten Wiesen, weil er so leuchtete. „Das war ein goldener Teppich, auf dem blauer Himmel lag.“ Kirsten Graulich

Kirsten Graulich

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