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KulTOUR: Exkurs für Phantasiebegabte

Ursprüngliches und Eindrucksvolles in Werders Havelauen: Unterwegs mit der Stadtführergilde

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KulTOURUrsprüngliches und Eindrucksvolles in Werders Havelauen: Unterwegs mit der Stadtführergilde Werder - Öde, Flachland, ab und an ein Baum, in der Ferne schmucke neue Häuser in Reihen oder einzeln, wohin eine serpentierende Asphaltstraße schlängelt, auch zu den industriellen Zweckbauten und dem nagelneuen Yachthafen. So stellten sich die Havelauen am Großen Zernsee jüngst in der Spätwintersonne dar. Anlässlich des „Weltgästeführertages“ lud die Werderaner Stadtführergilde, einmalig und exklusiv, zu einer Begegnung mit der Auenlandschaft. Doch was sollte man im Wohn- und Gewerbegebiet der Mega-AG denn entdecken? Während auf Werders Stadtinsel Bauten und Geschichten winken, gähnt hier eher das Nichts. Trotzdem fängt jedwede Kultur mit der Einöde an. Auf diesem Areal fand man eine Gräberstatt für 1000 tote Haveller, auch eine Gemme römischen Ursprungs, weiß der Gauch, wie die hierher gekommen ist. Nun begab sich diese Führung ohne lange Wege vor allem im Foyer der Mega AG. Am Modell der Havelauen, wo einem sofort der Stichhafen ins Auge sticht, erläuterte Stadtführer Eberhardt Schumann die so lange wie unsichtbare Kulturgeschichte dieses Konversions-Gebietes, darauf sich im 3. Reich eine bedeutende Luftkriegsschule befand, welche auch der legendäre Hans Grade besuchte. In einem Husarenstreich schaltete die westalliierte Luftwaffe April 1945 den fliegenden Bestand dieser Anlage aus. Man munkelte lange, dass irgendwo im Zernsee ein britisches Jagdflugzeug ruhe, doch wie man seine drei Motore barg und welche Geschichten sich darum rankten, erfuhr man bei einer Exklusiv-Führung durch das staunenswerte Zweiradmuseum von deren Leiterin Rosemarie Jordan. Bei ihr kann man auch jenen „Fluggleiter" betrachten, den jeder angehende Pilot zuerst besteigen musste, bevor er lospropellern durfte. Schon Anfang Mai 1945 siedelte sich die Rote Armee auf den ehemaligen „Werderschen Wiesen“ an, um hier schwere Ketten- und Amphibienfahrzeuge zu testen – mancher hört noch heute nächtlich Panzer durch die Obstbaumstadt rattern. Doch der weithin sichtbare Russenschornstein raucht schon längst nicht mehr. Imaginativ, unvergesslich. Dann übernahm die Mega AG die Sanierung des 139 Hektar großen Geländes, doch die Ansiedlung kauf- und mietwilliger Kunden verlief nur schleppend. Es waren andere Zeiten, als ein Teil der Au noch als Kircheneigentum rechtens „Klingelbeutel“ genannt werden konnte. Trotz Insolvenz im Jahr 2002 blieb die Mega am Ball, und heute geben hier 25 Firmen 300 Leuten Arbeit und Brot, darunter die Firma Orgelbau Schuke, denn auf dem Kulturland in spe ist viel Platz. Eine andere Weltfirma ist „Ytterstone“ gleich nebenan. Diesem patenten Unternehmen (10 Mitarbeiter) galt der zweite Teil dieser spannenden Exkursion. Es gibt kein besseres Beispiel, wie man mit Sand zu besten Geschäften kommt: Aus einem niedersächsischen Tagebau gewinnt man dünne Sandstein-Folien, die sich behufs eines Geheimnisses schneiden, schweißen, knicken usw. lassen und Wohn-, Küchen- und Sanitärbereichen gleichermaßen einen wärmenden Eindruck verleihen. In die „Galerie“ des Betriebes geführt, scheint man Alwins Reich zu betreten, wirklich eindrucksvoll. Flachland, Öde, Industrie? Es geschah, was man unmöglich voraussehen konnte. Zwar waren die Haveller weg, die von Kähnes weg, die Nazis weg wie auch die Russen. Dank Eberhardt Schumann erstand alles Unsichtbare in der Vorstellungskraft. Solche Beiträge hat man zu loben, sie taugen eigentlich mehr als jede Führung durchs gefügte und gemauerte Historien-Areal. Wenn man nicht nur zu Tische steht, sondern auch wandert, könnte das für Phantasiebegabte sogar Werders Renner sein; man hörte ja, dass selbst Bürgermeister Werner Große sicher ein antikes Hochrad fahren kann. Bei Bedarf wird dieser Exkurs gerne wiederholt.

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