„Fledermaus“ von Johann Strauss in Kammerspielen: Falsche Fuffziger in Wien
Kleinmachnow - Es den Großen in Berlin, New York oder Paris gleichzutun, geht in Kleinmachnow nicht. Daraus etwas Eigenes zu machen, das schon.
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Kleinmachnow - Es den Großen in Berlin, New York oder Paris gleichzutun, geht in Kleinmachnow nicht. Daraus etwas Eigenes zu machen, das schon. So ungefähr könnte man die Philosophie der Kammeroper Kleinmachnow beschreiben. Am Sonntagabend erhob sich ein recht kleines Publikum im Saal der Neuen Kammerspiele, um die Königin der Operette, Strauß Juniors „Fledermaus“ von 1874 zu sehen. Die erste Eigenproduktion eines richtigen Bühnenwerks seit Gründung des Fördervereins. Im Dezember schon wird mit Humperdincks „Hänsel und Gretel“ die nächste folgen.
Ganz theatralisch zieht das fünfköpfige Team um Ilona Nymoen mit goldenem Palmwedel am Publikum vorbei: Ein singender Pianist, eine verliebte Rosalinde, gar lebensfroh Herr Eisenstein, das kokette Dienstmädchen Adele und nicht zuletzt Dr. Falke, der mit Eisenstein noch eine Rechnung offen hat. Letzterer lässt den bekannten Notar nach einem Ball am Aschermittwoch stockbesoffen in einem Park zurück, wo ihn früh die Leute finden – in Fledermaus-Verkleidung!
Nun fledermaust der Blamierte zurück, ein Verwechslungsspiel beginnt, fast so spannend wie bei Shakespeare. Weil Eisenstein (Michael Heim, Tenor) zugleich Rosalindes Liebhaber Alfred spielt, Falke (Olaf Plassa, Bariton) auch den Gefängnisdirektor und der exzellente Pianist und Sprecher Markus Syperek den russischen Grafen Orlowski (Tenor), kommt man mit diesem Personal, und natürlich einem guten Klavierauszug, schon mal recht weit.
Das Bühnenbild ist spartanisch, eine Couch mit Tisch, ein mittig hängendes Fenster, durch welches sich Galan Alfred vergeblich zur Rosalinde (Ilona Nymoen, Sopran) drängt. Später wird das Publikum bemüht, zu Gast auf Orlowskis Ball zu sein: Zwei Tische voller Komparsen auf der Bühne, fürstlich mit Sekt bewirtet – „stoßt an, stoßt an!“. Überhaupt sind es der übermütigen Einfälle bis zur Pause viele, Adele (Kathleen Morrison, Sopran) quietschvergnügt, der Polizeichef mit Rollator, die berühmte Uhr als Liebes-Pendel, Sektkorken werden Richtung Saal geschossen, es wird heftig (zu viel bei Heim) chargiert, der reinste Spaß an der Freude. Man kann das Parodie nennen, doch zieht man da nicht auch die bildungsbürgerliche Auffassung von „Fledermaus“ und Operette durch den Kakao? Dass so viele Kleinmachnow-Berliner diesen turbulenten Abend verpassen, ist jammerschade.
Natürlich schenkt man sich Champagner ein, ist glücklich, wenn man vergisst, besonders, wenn zwei Eheleute gleichzeitig fremdgehen, um sich dann, maskiert und unerkannt, gegenüberzustehen. Nach der Pause verwischen die Fronten, die Handlung wird unübersichtlich, alles Pulver ist verschossen. Wenn Michael Heim als Tenor schon Gatte und Liebhaber spielt, sollte er sich zumindest einen Bart ankleben. Auch lässt die Textverständlichkeit in den Arien sukzessive zu wünschen übrig. Aber schön und richtig eigen ist es doch, mit raumfüllenden Stimmen und einer Spiellaune, die sich rasch auf das Publikum überträgt. Überall Rollenspiele und falsche Fuffziger!
Konzeptionell bleibt dieser Dreiakter der üblichen Lesart von Intrige und Verwechslung treu. Ein Rachefeldzug mit Wein, Weib und Gesang, mit Witz und Pfiff und Freude. Hätte man den fledermausischen Dr. Falke freilich mit Orlowskis Arie vom „Bund der Brüder und Schwestern“ in Zusammenhang gebracht, wäre wohl etwas nach Art von Mozart und Beethoven entstanden. Doch gemach, die Großen in Paris und Wien sehen es ja auch nicht. Gerold Paul
Zweite und letzte Vorstellung am 15. 11. um 19 Uhr, Neue Kammerspiele Kleinmachnow, Karl-Marx-Straße 18
Gerold Paul
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