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Potsdam-Mittelmark: Fast 20 Jahre ohne „Pappe“

Angeklagter: Ich habe den Führerschein bei der Polizei gesehen / Verfahren gegen Geldbuße von 2500 Euro eingestellt

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Angeklagter: Ich habe den Führerschein bei der Polizei gesehen / Verfahren gegen Geldbuße von 2500 Euro eingestellt Von Gabriele Hohenstein Werder/Potsdam. Fast 20 Jahre lang kutschte Ingo B.* (39) ohne Führerschein mit seinem Auto durch die Gegend, ohne dass es jemandem aufgefallen wäre. Bei Polizeikontrollen wies der Mann den ihm zu DDR-Zeiten nach bestandener Prüfung ausgestellten grünen Antrag auf Aushändigung des begehrten Papiers vor. Gerichtsverfahren, denen sich der Vertreter wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen unterziehen musste, endeten mit Geldbußen. Kein Richter kam auf die Idee, dass der Mann gar nicht ans Steuer durfte. Das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg registrierte diverse Verfehlungen von Ingo B. mit Punkten, ohne zu ahnen, dass dem Verkehrssünder nie eine Fahrerlaubnis erteilt wurde. Erst eine Werderaner Polizeistreife untersagte ihm am 5. Februar 2002 die Weiterfahrt auf der Phöbener Chaussee. Jetzt musste sich Ingo B. wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis vor dem Amtsgericht verantworten. Korrekt in Schlips und Kragen gewandet, stellt er unmissverständlich klar: „Ich bin mir keiner Schuld bewusst!“ Er habe 1984 beim damaligen VEB Kraftverkehr in Brandenburg Auto fahren gelernt, sowohl die theoretische als auch die praktische Prüfung bestanden. Danach habe er – wie es zu jener Zeit üblich war – seinen Führerschein beim Volkspolizeikreisamt abholen wollen, ihn sogar mit eigenen Augen gesehen. „Mir war damals die Fahrerlaubnis für das Motorrad entzogen worden. Bei der Polizei sagte man mir, ich könne den Autoführerschein erst bekommen, wenn ich wieder aufs Motorrad darf“, so der Angeklagte. Leider sei die Nachprüfung für die „Karre“ am viermaligen Vermasseln der theoretischen Prüfung gescheitert. „Dann stimmt der Vorwurf doch“, konstatiert die Richterin. Dem hält der Verteidiger entgegen: „Die unterlassene Aushändigung des Papiers kann nicht Basis für eine Anklage wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis sein. Die materiellen Grundlagen für deren Erteilung lagen vor.“ Zudem sei die damalige Entscheidung mit den heutigen Gesetzen nicht mehr vereinbar. Der Staatsanwalt ist der Auffassung, rein rechtlich sei dem Angeklagten nie die Erlaubnis zum Autofahren ausgesprochen worden. Die Vorsitzende bringt es auf den Punkt: „Solange Ihnen der Lappen nicht in die Hand gedrückt wird, sind Sie auch nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis.“ Um die Wogen der Emotionen zu glätten und die Beweisaufnahme abzukürzen – auf dem Gerichtsflur warten u. a. der einstige Fahrlehrer des Angeklagten sowie der damalige Prüfer – regt die Richterin an, das Verfahren gegen eine Geldbuße einzustellen. Der Staatsanwalt, der dieser Entscheidung ebenso zustimmen muss wie der Angeklagte, ist einverstanden. Ingo B. und sein Verteidiger bitten um Bedenkzeit. Danach erklärt der Anwalt: „Wir haben uns davon überzeugen lassen, dass mein Mandant tatsächlich keine Fahrerlaubnis besitzt. Er wird jetzt eine ganz normale Fahrschule aufsuchen, die Prüfung ablegen und einen neuen Führerschein beantragen.“ Und er muss eine Geldauflage von 2500 Euro an die Staatskasse zahlen. (*Name geändert.)

Gabriele Hohenstein

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