KulTOUR: Fast eine Titanic „Legende vom Ozean-
pianisten“ in Werder
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Werder (Havel) - Er hatte nie festen Boden unter den Füßen. Er kannte Mutter und Vater nicht, sein Adoptivvater starb, als er Acht war. Er selbst wurde keine Minute älter als jenes Schiff, das ihn über so viele Meere trug, der Ozeandampfer „Virginia“, fast eine Schwester der Titanic. So jedenfalls suggeriert es die Foto-Projektion in der jüngsten Inszenierung der Werderaner „Comédie Soleil“, so erzählt es ihr monologisierender Held namens Tooney, der Bordtrompeter war, und mit dem wundersamen Pianisten namens Novecento (alias 1900) bis zuletzt befreundet. Der italienische Autor Alessandro Baricco hat die „Legende vom Ozeanpianisten“ in den Neunzigern geschrieben, sie wurde 1999 von Guiseppe Tornatore verfilmt.
Hierzulande erfuhr man davon während einer Kreuzfahrt der „Caputher Musiken“ auf dem Schwielowsee vor drei Jahren, sonst nie wieder. Schade, denn dieser exorbitante Monolog hat etwas ganz besonderes an sich: Hier kommen Story und Bedeutung wie von selbst zusammen, werden dem einen zur spannend erzählten Geschichte, dem anderen zur poetischen Metapher des Lebens.
Bühne und Parkett hat Bühnenbildner Jens-Uwe Behrend durch eine angedeutete Reling voneinander getrennt. Ein Klavier, eine hölzerne Gangway und etwas Gestühl sind die einzigen Bühnenversatzstücke. Die Projektionswand im Hintergrund führt den Geist dann überall hin, in den Ballsaal erster Klasse, in den Maschinenraum, einen Sturm, dann zum ozeanischen Horizont voller Stille. Wieder von „RUDI“ ausgestattet, gibt Michael Klemm den Monolog in dialogisierenden Rollen, mal als Trompeter, mal Pianist, mal Maschinist, Entertainer oder auch Kapitän.
Da es in Nadja Winters Regie mehr auf den Erzählstil als auf Rollengestaltung ankam, keine besonders schwere Sache. Wohl aber erlebte man einen Theaterleiter in darstellerischer Hochform, einen Schauspieler, der es bestens verstand, Spannung aufzubauen und zu halten, einen guten Rhythmus zu setzen und so verdichtet zu erzählen, dass man einfach hören wollte, wie diese Legende weitergeht. Hinzu kam eine effektvolle Lichtregie, das Publikum in der gut besuchten Sonntagsnachmittagsvorstellung war begeistert, man merkte es an der stillen Sekunde, die sich zwischen Finale und Beifall schob.
Michael Klemm erzählt direkt zum Zuschauer hinüber, er stellt Situationen dar, zeigt aber auch noch mal, was der Text schon sagt. Extras fehlen weitgehend. Im Text spielen sie eine große Rolle: beim Klavierduell Novecentos mit dem berühmtesten Jazzer damaliger Zeit, Jelly Loll Morton, auf dem Schiff zum Beispiel. Nach einer Glanzleistung (wo Musik im Spiel ist, fließt beim Musiker Klemm Herzblut mit) sagt der Ragtimer herablassend zu ihm– „Du bist dran, ,Matrose’!“. Und der ewige See-Mann spielt so doll, dass er an den glühenden Saiten eine Zigarette entzündet. Er hatte gewonnen.
Unklar bleibt, warum Tooney diese wundersame Geschichte mit dem todtraurigen Ende erzählt und warum das auf der „Virginia“ geschieht, die, von Krieg Zwo arg lädiert, vor Plymouth mit viel Dynamit versenkt wurde. Wie gesagt, Novecento hat ihre Planken niemals verlassen. Eine gute Inszenierung schaufelt sich eben nicht selber zu, schließt nicht jede Lücke, dort wohnt jenes Etwas, das man mit nach Hause trägt. Das schönste, das kompakteste Opus von Soleil, seit langem.
Nächste Vorstellung am 11. März, 19.30 Uhr, Eisenbahnstraße 210.
Gerold Paul
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