
© Julian Stähle
Potsdam-Mittelmark: Fingierte Katastrophe
Rettungskräfte probten am Samstag auf der Havel bei Töplitz den Ernstfall
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Werder (Havel) - Am 27. September kollidiert gegen 11 Uhr auf dem großen Zernsee ein Schubverband mit einem Passagierschiff. Feuer bricht aus. Die manövrierunfähigen Wasserfahrzeuge treiben auf eine Sandbank, wo die verletzten Passagiere den Flammen hilflos ausgesetzt sind. Nun heißt es handeln. Die Alarmierung „Schiffszusammenstoß“ des Schubverbandsführers geht in der Feuerwehrleitstelle Brandenburg an der Havel ein und löst einen Großeinsatz der Rettungskräfte aus.
Dieses Szenario war Ausgangslage für die größte Katastrophenschutzübung des Jahres im Landkreis Potsdam-Mittelmark. Unter dem Leitbild „Havel-Havarie 2014“ probte die Deutsche Lebens-Rettungsgesellschaft (DLRG), der Katastrophenschutz des Landkreises, die Freiwillige Feuerwehr Werder und die Johanniter-Unfallhilfe zusammen mit dem DRK und der Medical Task Force den Ernstfall. Die Kulisse hätte realistischer nicht sein können. Die Einsatzkräfte der Feuerwehr, die schon wenige Minuten nach der Alarmierung in der Marina Töplitz eintrafen, schickten ein Löschboot und einen Sichtungstrupp zur Unfallstelle. Bei dem fiktiven Unfall wurden 25 Personen verletzt, darunter fünf schwer. Eine wichtige Information nicht nur für die DLRG, sondern auch für die Einsatzkräfte des Landkreises, die einen Behandlungsplatz für die Versorgung von 25 Personen in der Leitstelle im Jachthafen Ringel errichteten. Mithilfe der aus Beelitz-Heilstätten angerückten Gerätewagen erbaute man in kürzester Zeit ein Lazarett mit mehreren Behandlungszelten für die Erstversorgung der Patienten. Insgesamt fünf Boote der DLRG waren für den Krankentransport von der Unfallstelle bis zum rettenden Ufer im Einsatz.
Der Charakter einer Übung ging bei allen Verantwortlichen schnell verloren. Dank der Abteilung für „Realistische Unfall- und Notfalldarstellung“ der DLRG simulierten professionelle Mimen Verletzungen aller Art. Verbrennungen, Brüche, Kopfverletzungen bis hin zum Polytraumata (mehrere gleichzeitig erlittene Verletzungen) ließ die Konzentration der Rettungskräfte spürbar steigen. Denn die Kategorisierung der Patienten nach ihren Verletzungen ist ein wesentlicher Bestandteil für die Weiterversorgung in den umliegenden Krankenhäusern. Die Übung endete mit der Rettung des letzten Verunglückten gegen 13.30 Uhr.
Christian Althaler, Pressesprecher der DLRG, zeigte sich hoch zufrieden mit dem Verlauf der Übung. „Unsere Hauptaufgabe ist es, aus Chaos Normalität zu machen und das hat hier einwandfrei funktioniert. Allen Unfallopfern konnte geholfen werden“, so Althaler. Die Koordinierung von 180 Menschen am Behandlungsplatz, darunter 120 Rettungskräfte, Seelsorger und medizintechnisches Personal, lief reibungslos. Übungen sind ein wesentlicher Bestandteil der Aus- und Fortbildung der Einsatzkräfte und dienen als Gradmesser für mögliche Verbesserungen. Im Fall der „Havel-Havarie“ heißt das konkret, die Strukturierung des Einsatzortes und den Umgang mit dem neuen Digitalfunk weiter zu optimieren.
Wie wichtig derartige Manöver sind, erklärt auch der stellvertretende DLRG-Vorsitzende des Wasserrettungsdienstes, Christian Neuse. „Wir fahren 100 bis 120 Einsätze auf dem Wasser im Jahr. Häufig haben wir es dabei mit Bränden zu tun. Durch die Vernachlässigung von Wartungsarbeiten an Motoren und Tanks sind Flammen an Bord keine Seltenheit", so Neuse. Das Alltagsgeschäft bestehe jedoch in der Rettung gekenterter Boote, die durch Fehlverhalten des Bootsführers verursacht werden. Der einprägsamste Vorfall für Christian Neuse ereignete sich vor wenigen Jahren auf dem Schlänitzsee, als ein Schubschiff mit einer Segeljolle kollidierte. Bei dem tragischen Unglück kamen zwei Frauen ums Leben. „Das sind Momente, die gerade für ehrenamtliche Helfer nur schwer zu verdauen sind", so der stellvertretende Vorsitzende.
Die Zahl der Einsätze der DLRG sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Für Neuse liegen die Ursachen im vermehrten Wassertourismus und im Heraufsetzen der Grenze für führerscheinfreies Fahren von 5 auf 15 PS. Bootsführer ohne Erfahrung würden sich häufig überschätzen und in Gefahrensituationen falsch reagieren. Besonders kritisch wird es, wenn Alkohol im Spiel ist. Katastrophenschutzübungen wie am vergangenen Samstag sollen nicht nur den Ausbildungsstandard der Einsatzkräfte sichern, sondern auch die Aufmerksamkeit für Gefahren auf heimischen Wasserstraßen.
Martin Klocke
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