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Potsdam-Mittelmark: Fit für den Klimawandel

Die Regionalplanung Havelland-Fläming entwirft mit Wissenschaftlern Handlungsfäden für die Zukunft

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Potsdam-Mittelmark - Januar 2007: Der Orkan Kyrill hinterlässt eine Schneise der Verwüstung. In Waldgemeinden wie Wilhelmshorst stürzen dutzende Bäume auf Häuser, Autos, Carports. Eine Windhose beschädigt in Wiesenburg Bahngleise und Oberleitungen, der IC Halle-Berlin kann gerade noch halten. Im Fläming müssen 136 Straßen wegen umgestürzter Bäume gesperrt werden. In Ortsteilen von Beelitz und Schwielowsee fällt der Strom aus

Wissenschaftler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung PIK wollen sich jetzt gemeinsam mit der Regionalplanung Havelland-Fläming und anderen Forschern in einem bundesweit einmaligen Projekt damit befassen, wie sich die Region auf extreme Wettereignisse vorbereiten kann – auch wenn wir von den jüngsten Sturmtiefs weitgehend verschont geblieben sind. Der Zusammenhang des Treibhauseffektes zu Orkanen, Dürren und Regenfluten ist unbestritten. Der durch Treibhausgase verursachte Klimawandel ist – mit allen CO2-Sparzielen – allenfalls einzudämmen – aufzuhalten ist er nicht, sagt Fred Hattermann vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung PIK. „Es gibt eine Trägheit im System.“

Milde, feuchte Winter, heiße, trockene Sommer – bestehende Klimamodelle für die nächsten 50 Jahre will das PIK für die Region Havelland-Fläming spezifizieren. Wissenschaftler der Technischen Fachhochschule Wildau, des Leibniz-Instituts für Agrartechnik Bornim, Experten der Landesforstanstalt Eberswalde, Planer und Baufachleute wollen daraus detailliert ableiten, was zu tun ist und wie man sich auf die Änderungen einstellen kann. Es geht um Neuorientierungen bei der Land- und Forstwirtschaft, beim Häuserbau, in der Kommunalpolitik und in der Wirtschaft, sagt Harald Knauer von der Regionalen Planungsgemeinschaft Havelland-Fläming, die die Kooperation initiiert hat.

Beispiel Forstwirtschaft: Der klassische Nadelwald verbraucht im Winter mehr Wasser als ein Laubwald. Die Frage stelle sich – wo die Bedeutung des Waldes als Grundwasserspeicher künftig höher einzuschätzen ist als die Holzproduktion – ob künftig zum Beispiel nicht auch niedrigerer Bewuchs eine Rolle in der Waldwirtschaft spielt, sagt Knauer. Und auch die Ungezieferempfindlichkeit wird bei milderen Wintern eine wachsende Rolle spielen müssen, ist PIK-Experte Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe überzeugt – Themen, die in der Landesforstanstalt Eberswalde thematisiert werden sollen. Harald Knauer fragt sich sogar, ob die Baumschutzssatzungen in den Gemeinden bei zunehmenden Sturmereignissen nicht komplett überarbeitet werden müssen. „Jede Gemeinde wird sich künftig gut überlegen müssen, ob sie sich die 200 Jahre alte Linde leistet, die neben dem Gemeindehaus steht.“

Auf die Szenarien des PIK aufbauend wird auch das Agrartechnische Institut einen Maßnahmekatalog für die Landwirtschaft zusammenstellen, sagt Abteilungsleiterin Annette Prochnow. Gedankenspiele gibt es bereits: Streifenförmig angelegte Feldgehölze könnten Wind- und Wassererosion drosseln und sich positiv auf das Mikroklima auswirken. Gegenstand von Berechnungen wird zum Beispiel auch die Effizienz einer 10 000-Liter-Kuh, die in heißen Sommern doppelt so viel Wasser trinkt. Stichwort Verrieselung: In dichter besiedelten Regionen könnte sie bei sinkendem Grundwasserspiegel wieder zur Option werden.

Auch die Bauplaner müssen sich Gedanken machen, sagt Christian Heller, Vize der Bauaufsicht von Teltow-Fläming. Dachziegelklammern, Dachüberhänge, Lichtschächte, Hausabstände zu alten Bäumen sind Themen, mit denen er sich befassen wird. Das Projekt will auch Chancen aufzeigen: Für die mittelständische Wirtschaft könnten sich völlig neue Beratungs- und Geschäftsfelder entwickeln, meint Thomas Lüneburg von der TFH Wildau.

Auf wirtschaftliche Vorteile verweist auch Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe. Schon in den letzten 15 Jahren habe es kaum einen verpatzten Sommer gegeben. Dass die Gästezahlen im Land kontinuierlich steigen, hat aus seiner Sicht auch damit zu tun. „Urlaub bei 25 Grad am Havelsee – der Tourismusbranche ist vielleicht noch gar nicht bewusst, welche Möglichkeiten sich ergeben.“

Mit dem auf drei Jahre ausgelegten Projekt hat sich die Schar von Forschern, Planern und Visionären beim Bundesforschungsministerium als „Klimzug“-Modellregion beworben. Um den „Klimawandel zukunftsfähig zu gestalten“ (Klim-zu-g), stellt der Bund für acht Regionen 75 Millionen Euro zur Verfügung. Die hiesige Materiallage ist schon jetzt so umfangreich, dass der in Umzugskartons verpackte Förderantrag 55 Kilogramm auf die Waage brachte. Selbst wenn es im April keine Förderzusage gibt, ist der Trupp wild entschlossen, die Sache durchzuziehen, wie Thomas Lüneburg betont.

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