DasWAR“S: Flut in Dahlem
DasWAR“S Warum Peter Könnicke an ungeschriebene Geschichten denkt Manchmal ist die Arbeit eines Journalisten ein einziges Missverständnis. Wenn ich zum Beispiel eine halbe Stunde mit jemandem telefoniere, mir Hintergründe erklären lasse, ich vor lauter Neuigkeiten mit den Notizen kaum hinterherkomme und ich am Ende des Telefonats gefragt werde: „Wieso wollen Sie das eigentlich alles wissen?
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DasWAR“S Warum Peter Könnicke an ungeschriebene Geschichten denkt Manchmal ist die Arbeit eines Journalisten ein einziges Missverständnis. Wenn ich zum Beispiel eine halbe Stunde mit jemandem telefoniere, mir Hintergründe erklären lasse, ich vor lauter Neuigkeiten mit den Notizen kaum hinterherkomme und ich am Ende des Telefonats gefragt werde: „Wieso wollen Sie das eigentlich alles wissen? Sie wollen doch wohl nicht darüber schreiben?“ Ein Missverständnis. In so einem Moment fühle ich mich wie Rocky, der gerade 14 Runden von Dolph Lundgren durch den Ring geprügelt wurde, dutzende Wirkungstreffer kassiert hat und plötzlich mit einem trotzigen Urschrei sich das Blut unter der Nase wegwischt und böse zurückschlägt. Wie gesagt, ich fühle mich nur so. In der Praxis weise ich betont darauf hin, dass ich wohl kaum angerufen hätte, wäre ich nicht Journalist. Andererseits gibt es Geschichten, die habe ich nie geschrieben, weil sie von der Zeit überrollt wurden. Als im Sommer in Sputendorf ein Obdachlosenheim geschlossen wurde, stand in den Zeitungen, wie schlimm die Zustände dort waren und dass es richtig ist, das Haus zu schließen. Ich hab das auch geschrieben. Ein paar Tage später riefen mich die Leute an, die das Heim betrieben haben. Sie wollten mir ihre Version erzählen. Wir saßen fast drei Stunden zusammen und ich habe alles mitgeschrieben. Den Ärger und Streit der Leute mit den Behörden, ihre Geldnöte und ihre Pläne, von hier wegzugehen. Ich hoffe, sie haben nicht gewartet, bis der Artikel erschienen ist. Ich habe auch nicht geschrieben, dass der Kleinmachnower Grüne Axel Mueller vor kurzem 60 geworden ist. Ich bin extra nach Dahlem in die Biologische Bundesanstalt gefahren, wo Mueller arbeitet und wo er mir einen ganzen Vormittag sein Leben erzählt hat. Wie er mit zehn Jahren Zoodirektor werden wollte und dass er lieber Schweine gefüttert hat, als mit den anderen Jungen aus seinem Dorf Fußball zu spielen. Er hat mir erzählt, dass seine eigenwillige Art sich einzumischen, „zu Lasten des eigenen Ansehens“ geht. Ich fand das sehr bemerkenswert. Später hat mir Mueller erklärt, was es mit den vielen präparierten Schmetterlingen in seinem Zimmer auf sich hat. Zum Schluss habe ich ihn gebeten, sich für ein Foto zwischen die Bäume einer Versuchsplantage zu stellen. Ich habe ein paar Hoch- und Querformate gemacht. Das war“s. Schon in der Ausfahrt der Bundesanstalt spülte eine Flut neuer Nachrichten die Geschichte bis heute beiseite. Vor fast einem Jahr hatte ich einen Termin bei der Teltower Feuerwehr. Der Bürgermeister hat dort eine Gans gebraten. Es war Heiligabend. Ich habe mir von einem Feuerwehrmann die Telefonnummer geben lassen und gesagt, ich werde mich bald melden, um eine Geschichte über ihn zu machen. Jetzt, nach fast einem Jahr, kann ich nur hoffen, dass der Mann mich missverstanden hat.
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