
© Tobias Reichelt
Potsdam-Mittelmark: Fünf Cent das Kilo
Alte Zeitungen und Werbeblätter zu sammeln liegt wieder im Trend. Den öffentlichen Müllentsorgern bereiten die fehlenden Einnahmen jedoch Sorge. Sie warnen Kunden vor möglichen Preissteigerungen
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Teltow - Wenn Karsten Hericke seinen Schatz begutachten will, dann muss er kräftig kurbeln. Zentimeter für Zentimeter und begleitet von einem lauten Quietschen hebt sich der schwere metallene Deckel des Papiercontainers auf seinem Hof am Schenkendorfer Weg in Teltow in die Höhe. Stück für Stück gibt der 46-jährige Papier- und Textilhändler den Blick auf seine Sammlung frei: Kataloge, Illustrierte, Schreibpapier und viele, viele Zeitungen. „Das ist alles, was andere so in ihren Briefkästen findet“, sagt Hericke. Zehn Tonnen Papier liegen hier, die Sammler für ihn zusammengetragen haben. „So viel Papier ist beeindruckend“, sagt Hericke und schmunzelt.
Junge und Alte, Schüler und Senioren, sogar Kindergärten und die Kirche – immer mehr Menschen in Mittelmark erinnern sich wieder an eine schon fast vergessene Tugend: das Papiersammeln. In einzelnen Bündeln, in großen Kartons oder sogar gestapelt in Autoanhängern oder Transportern bringen sie ihr Altpapier zu privaten Papierhändlern und kassieren dafür ein paar Taler ein. Mal sind es 50 Cent, mal 15 Euro. Über das Jahr und den Landkreis gerechnet, kommt dabei eine große Menge zusammen. Die ist inzwischen so groß, dass sie den öffentlichen Entsorgungsträgern Sorge bereitet.
„Jedes Kilogramm Papier, das an die privaten Händler geht, fehlt uns, um die Müllgebühren für alle Kunden in Mittelmark stabil zu halten“, sagt Steffi Kuhnke vom Entsorgungsträger im Kreis. Laut der aktuellen Abfallbilanz wurden im Jahr 2012 durch die Abfallwirtschaft Potsdam-Mittelmark, kurz APM, sage und schreibe bereits 1000 Tonnen weniger Altpapier eingesammelt als noch in den Jahren zuvor. Die Gesamtmenge des in den blauen Müllbehältern gesammelten Papiers schrumpfte auf 16 195 Tonnen. Da Papier ein wertvoller Rohstoff ist, gingen dem Kreis damit jährlich Einnahmen von bis zu 200 000 Euro verloren. „Das macht sich bei unserer Kalkulation bemerkbar“, sagt Kuhnke.
Mona Belz, Sprecherin der APM, ist deshalb nicht gut auf die Papierhändler und Sammler zu sprechen: „Die Leute sehen zuerst das Geld, das sie auf die Hand bekommen“ – nicht aber die Folgen. Als öffentliches rechtliches Unternehmen gebe die APM ihre Gewinne an die Kunden weiter, in dem Falle an diejenigen, welche die Papiertonnen befüllen. Sie dürfen sich dann über stabile Grundgebühren freuen. Im Gegenzug müsse das Unternehmen aber auch die Verluste weitergeben. Die mittlerweile gewaltige Menge an Altpapier, die dem Müllentsorger fehle, tue weh, sagt Belz. Bislang konnte der Basisgrundpreis zur Müllentsorgung von 30,87 Euro im Jahr und pro Person im Haushalt aber gehalten werden.
Mit insgesamt fünf Lkws sei die APM in Mittelmark im Schichtsysstem unterwegs, um die Papiertonnen der Eigenheimbesitzer alle vier Wochen zu leeren. Sortieren müssten die Kunden nicht, in die Papiertonne darf so ziemlich jedes Papier rein, sagt Belz. Allerdings alte Zeitungen, die beim Streichen der Wohnung auf dem Boden ausgelegt und mit Farbe bekleckert wurden, sollten im Hausmüll landen. Auch die Klarsichtfenster von Briefumschlägen haben in der blauen Tonne nichts zu suchen. Das so gesammelte Papier wird anschließend zum Sortierer geliefert und landet danach in einer Papierfabrik, um zu neuem Papier zu werden.
Auch das gesammelte Papier von Papierhändler Karsten Hericke landet schlussendlich in einer solchen Fabrik, sagt er. Die Abneigung zwischen den privaten Händlern und den öffentlichen Entsorgern beruhe auf Gegenseitigkeit. Der 46-jährige Berliner hat wenig für die APM übrig. Am liebsten würde er gar nicht über sie sprechen wollen. „Wir zahlen unseren Sammlern Geld, weil das Papier hier sortiert ankommt“, erklärt Hericke. Das sei der große Unterschied zur APM, die muss ihr Papier selbst sortieren oder sortieren lassen.
Fünf Cent pro Kilogramm Altpapier kann Hericke seinen Kunden für ihre Vorarbeit auf seinen insgesamt drei Sammelplätzen zahlen. Neben dem Hof in Teltow unterhält er auch noch einen in Klein-Ziethen (Barnim) und einen in Wust bei Brandenburg. Aus der Not heraus hatte der frühere Gastronom das Geschäft mit dem Müll vor fast vier Jahren für sich entdeckt. Sein Job sei viel mehr, als nur an seinem Hof auf neues altes Papier zu warten, sagt er. Die Arbeit sei körperlich schwer. Kiloweise muss das Papier in die Container gewuchtet werden – bei Wind und Wetter. Zum Schutz für sich hat Hericke nur einen kleinen Blechcontainer aufstellen lassen.
Wenn es im Winter schneit, komme oft gar kein Sammler. Auch in den Ferien sei das Geschäft mau. Trotzdem hat Hericke seinen Hof in Teltow montags, donnerstags und freitags je sieben Stunden geöffnet. Und er sammelt nicht nur Papier, sondern auch Textilien und Schuhe. Ein Kilo Schuhe bringt 10, ein Kilo Stoff 5 Cent.
Der Händler hat etliche Stammkunden. Viele ältere würden die Sammelei noch von früher kennen. Zu DDR-Zeiten wurden noch 30 Pfennige für ein Kilo Papier gezahlt, sagt Hericke. Für die Schüler gab es sogar ein Pionierlied: „Hab’n Se nicht noch Altpapier?, liebe Oma, lieber Opa? Klingelingeling – ein Pionier steht hier“, summt Hericke leise vor sich hin, bevor er den Deckel zu seinem Papiercontainer wieder schließt.
HINTERGRUND
Sammler, die weggeworfenes Papier aus Müllcontainern von Wohnanlagen wieder herausnehmen, machen sich strafbar. Das sagt Steffi Kuhnke vom Entsorgungsträger im Kreis. Erst Ende des vergangenen Jahres sei ein Rentner erwischt worden, als er das Papier von Nachbarn aus den Containern holte, um es bei einem privaten Papierhändler abzugeben. Rechtlich gehört das Papier zu diesem Zeitpunkt dem Entsorger. „Der Mann hat sich über einen längeren Zeitraum bereichert“, so Kuhnke. Er musste ein Bußgeld von rund 250 Euro zahlen. Es sind nicht nur Papierdiebe, die Kuhnke Sorge bereiten, sondern auch private Sammlungen von Schrott- und Elektrogeräten. „Auch das ist illegal.“ Nur der Kreis dürfe solche Geräte einsammeln, weil so sichergestellt sei, dass sie fachgerecht entsorgt werden. Illegale Sammler entfernten oft nur brauchbare Metalle aus den Geräten, der Rest lande im Wald. Die Entsorgung solchen Unrats koste den Kreis jährlich rund 160 000 Euro. (tor)
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