Potsdam-Mittelmark: „Fünfzwanzigdreizehn“
55 Jahre Gummiwerk Caputh – nicht nur die Trabi-Reifengröße ist unvergessen
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55 Jahre Gummiwerk Caputh – nicht nur die Trabi-Reifengröße ist unvergessen Schwielowsee · Caputh - Nach dem Krieg ließ sich mit Löcherstopfen richtig Geld verdienen. Neue Fahrradreifen, Gummistiefel und natürlich Autoreifen waren rar. Ein abgefahrener Pneu ist erst zu 15 Prozent verbraucht, und statt 28 Liter Erdöl für einen neuen Reifen werden beim Vulkanisieren nur 5 Liter verbraucht. Mit Wilhelm Deicherts Vulkaniseurwerkstatt begann im Jahr 1946 die Geschichte des Gummiwerks Caputh, seit 1950 stand die Firma in der Handwerkerrolle. Gestern wurde deshalb das 55. Firmenjubiläum der „Gummibude“ gefeiert, laut Bürgermeisterin Kerstin Hoppe ein Ehrenname der Caputher für das in einem Seitenweg der Lindenstraße versteckte Werk. Die heutige Innovationsschmiede erinnert nur noch vage an die Anfänge: Präzisionsdichtungen, Membrane oder Faltenteile werden in 300 verschiedenen Gummimischungen gefertigt. Maßgeschneiderte Caputher Gummiformteile finden heute zum Beispiel Verwendung in Volkswagen, ICE-Zügen, der Medizintechnik und sogar der Luftfahrt: Der Caputher Mittelständler mit 50 Beschäftigten ist Lieferant für den Eurocopter. Für Innenminister Jörg Schönbohm, der gestern zu den Gratulanten zählte, ein Qualitätsbeweis, wie er deutlicher kaum ausfallen könnte. Der Weg dorthin, so hieß es gestern Abend bei der Feier im Märkischen Gildehaus, war ein „ostdeutsches Wirtschaftsdrama mit Happy End“. Nachdem sich Firmengründer Wilhelm Deichert mit anderen Vulkaniseuren der Region 1958 zur Produktionsgenossenschaft des Vulkaniseurhandwerks zusammengeschlossen hatte, wuchs bis Anfang der 60er Jahre die Zahl der in Caputh Beschäftigten auf 200 an, man erwirtschaftete einen satten Produktionsgewinn, bald auch mit der Fertigung von Formteilen wie Schuhsohlen, Fahrradsätteln oder Mostdeckeln. Die Genossenschaftler sollten nicht lange von den Erfolgen profitieren: Bei einer Verstaatlichungswelle wurde die PGH 1972 zum Volkseigenen Betrieb, acht Jahre später vom Kombinat Pneumant geschluckt. Seit 1981 „beschränkte“ man sich auf die Produktion von Wärmflaschen, 1986 verließen 600000 Stück das Werk. Erst spät bekam man in Caputh heraus, warum der Artikel auch in Nordafrika Abnehmer fand: Er diente als Wasserbehälter. Die Wurzeln der Gummibude blieben indes unvergessen. Die Größe von Trabantreifen konnten die Mitarbeiter auch gestern noch auf Nachfrage ihres Chefs in der Jubiläumsansprache zurückrufen: „Fünfzwanzigdreizehn“. Rainer Manigk führte das Unternehmen durch die Wendejahre in die Gegenwart. Erfolgreich wurde im Frühjahr 1990 ein Antrag auf Rückwandlung in eine Genossenschaft gestellt. Man stellte sich auf die Produktion von Gummiformteilen ein, „wir wollten uns nicht zwischen Conti und Pirelli drängen, die hätten wir glatt vom Markt gefegt“, wie Manigk gestern witzelte. Die Sache war natürlich ernst, der Reprivatisierung legte die Treuhand noch viele Steine in den Weg. Manigk setzte sich durch, kurbelte den völlig zusammengebrochenen Absatz wieder an und warb auf Messen bis heute 200 Kunden in 21 Ländern. 1993 kaufte er sogar einen Westberliner Wettbewerber. Der Fall „Vielmetter“ wurde zum nationalen Medienereignis und fand seinen Weg bis in die Tagesthemen. Als die Mitglieder die Genossenschaft auflösen wollten, gründete Rainer Manigk vor fünf Jahren die MaTec Gummiwerk GmbH und wurde Geschäftsführender Gesellschafter. Heute erwirtschaftet das Unternehmen laut Manigk einen Umsatz zwischen 3,5 bis 4 Millionen Euro, 20 Prozent davon aus dem Export. Der Diplomingenieur wurde gestern als eloquenter Teamworker mit Humor, guten Ideen und einem Händchen für das Marketing gelobt. Sein jüngster Coup: Bei der Chinatour von Ministerpräsident Matthias Platzeck gehörte er im März zu den wenigen mitreisenden Unternehmern, die schon während der Reise konkrete Kontakte aufbauen konnten. Gestern waren die Chinesen zum Gratulieren in Caputh. Das chinesische Kochbuch als Geschenk von Bürgermeisterin Hoppe an Manigk kam da vielleicht sehr gelegen. Die Zukunft geht weiter: Am Firmenstandort Lindenstraße soll ein Technologiepark mit dem Namen „Lindenhöfe“ entstehen, auch für andere Unternehmen. Die Zufahrtpiste soll dazu jetzt zur Durchfahrtstraße (bis Max-Planck-Straße) werden, Land und Gemeinde sind an der Finanzierung beteiligt. Kein Wunder also, dass die Gummiwerker ihrem Chef gestern einen über drei Meter hohen Lindenbaum vor die Füße rollten. Das Gummiwerk braucht auch selbst Platz für bessere Produktionsbedingungen und eine separate Fertigungsstätte, in der Dichtungen für medizinische Infusionsgeräte gebaut werden sollen. „Wir haben dafür ein neues Material entwickelt“, sagt Manigk. Drei bis vier Mitarbeiter könnten daraus werden, und mit der Verbesserung der räumlichen Situation will man auch einige Lehrlinge ausbilden. Schließlich hat Manigk selbst seine Karriere in den Gummiwerken 1958 als 14-jähriger mit einer Vulkaniseurslehre begonnen.
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