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KulTOUR: Ganz in Weiß

Premiere im „Comédie Soleil“: The Kraut – Die wahre Geschichte der Marlene Dietrich

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Von Gerold Paul

erder - Die Gegenwart braucht Ikonen, um ihre zukünftige und unmittelbare Gegenwart zu legitimieren. Nichts wäre ihr dafür willkommener als die lebendige Vergangenheit. Marlene Dietrich etwa verkörpert wirklich alles, was man heute für die Behauptung eines „kulturell-politischen Fortschritts“ braucht: den Sexappeal, jüdische Kulturtradition, Kontakt in die Chefetagen von Feind und Freund genauso, wie „Massenwirksamkeit“, das Zufüßeliegen beliebigen Volks vor einer richtigen Diva namens Dietrich, was sich gut mit „Schlüssel“ übersetzen ließe. Blond war sie auch noch, und schön, und verführerisch wie Salome oder Lilith, Unglücksfiguren. Sie hatte eine bewegte, sogar transatlantische Geschichte, etliche Männer des allerhöchsten VIP-Grades in Bett oder Gedächtnis.

Nun erscheint sie in Michael Klemms neuer Inszenierung am Werderaner Theater „Comédie Soleil“ nach einem prämortalen Pariser Entree trotz allem ganz in Weiß – wissend, aber unschuldig. Oder umgekehrt? Der 1964 in Magdeburg geborene Dirk Heidicke hat ein nicht eben hochdramatisches Monologstück auf diese Person gesetzt, sein Titel „The Kraut“ bezieht sich auf den Spitznamen, den der eng befreundete Schriftsteller Ernest Hemingway ihr gab, sie nannte ihn dafür „Papa“. Am Freitag war Premiere, natürlich ganz in Weiß.

Ganz weißhaarig und tippelnd sah man im ersten Bild des etwa Neunzigminüters die Marlene 1987 in ihrer Pariser Wohnung, wo sie ein bissel senil vor sich hin parlierte. Im Hintergrund diente ihr Michael Klemm als grammolierender Butler. Schon auf dem Programmzettel hatte er ihr artige Komplimente gemacht, sich für ihre wunderbare „Mitarbeit“ beim Inszenieren bedankt. Teil zwei zeigt sie in der Blüte ihrer Jahre kurz nach dem Einmarsch der Amis in Paris, 1944. Allerdings auch im Widerspiel zwischen Heimweh nach Berlin und einer Welt, die ihr so ziemlich zu Füßen lag. Auch die Nazigrößen buhlten ja lange um sie, was die kühle Blonde veranlasste, gehörig über in ihre Deutschland gebliebenen Schauspieler-Kolleginnen zu lästern: Allesamt zweite Wahl gegen sie! Im Salon des Pariser „Ritz“ glaubt sie sogar, die Abdankung Edwards VIII. in England und den Ausbruch des Zweiten Krieges verhindert haben zu können, „wenn man mich nur durchgelassen hätte“. Das Finale ist dann auch jenes der Diva, im Exitus zusammengesackt, legt Elogist Klemm ihr einen Strauß Blumen in den Schoß. Der Vorhang schließt sich dezent.

Höchste Zeit, endlich von ihrem Konterfei in Werder zu sprechen. Ensemble-Mitglied Michaela Wrona spielt dieses lange Monodram zwar in Weiß, aber mit viel Engagement und Freude. Sie führt zweierlei Sprachen, eine, die sich an „Papa“, manchmal auch an das Publikum richtet, die andere, mit leicht dunklem Timbre, ist ihrer erotischen Lebensrolle geschuldet. Hier hätte mehr differenziert werden können.

Dem Gesamtbild dieser „Diva“ wird ja in Werder so wenig nachgefragt wie sonstwo auf der Welt: Hinter dem Make up erst tobt das wahre Leben! Regisseur Michael Klemm stellt ihr Spiel auf das Wort, auf die Stille, auf Atmosphäre – die Protagonistin muss eo ipso „wirken“ können, und tut es ja auch, mit sparsamen Gesten, durch den Gebrauch natürlicher Gaben, wozu neben „Ausstrahlung“ auch eine gut geschulte Stimme gehört. Etliche An- oder Einspielungen Dietrichscher Lieder schaffen zusätzlich Atmosphäre. Es fehlten die Brüche – und einer, der „Marlene“ nun gar nicht mag. Doch Eloge ist eben Eloge!

Gerold Paul

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