Potsdam-Mittelmark: Geberlaune im Wochentakt
1000 Mal hat der Schenkenhorster Fred Loose Blutplasma gespendet. „Keine große Leistung“, sagt er.
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Stahnsdorf·Schenkenhorst - Irgendwann während des Gesprächs beschreibt Fred Loose, wie er auf der Pritsche liegt. „Du liegst da und freust dich deines Lebens“ – während ihm das Blut aus den Adern fließt. Vielleicht wird es einem anderen sogar das Leben retten. Doch daran denkt Fred Loose nicht, wenn er Blut spendet. Er spricht nicht von höheren Motiven oder moralischen Verpflichtungen. Schließlich spendet Loose mehr als sein halbes Leben lang Blut. Seit 37 Jahren. Am vergangenen Montag, am 31. Juli 2006 bekam er den Vermerk für seinen 1000. Aderlass in seinen grünen Sozialversicherungsausweis gestempelt.
Loose fährt zur Blutspende wie andere zum Wocheneinkauf. Montag früh setzt er sich ins Auto und „wenn die Schnellstraße nicht voll ist“, ist er um 9.30 Uhr in Potsdam beim Blutspendedienst vom Roten Kreuz. Dann füllt er den medizinischen Fragebogen aus, gibt etwas Blut zur Farbkontrolle ab, lässt sich den Blutdruck messen und dann in den Arm pieken. 600 Einstiche hat sein rechter Arm hinter sich, 400 der linke. Loose streicht mit dem Finger über die vernarbten Stellen, während er erzählt, wie die Schwestern die Kanülen unter die Haut schieben. Jedesmal 600 Kubikzentimeter seines Blutes fließen in eine Zentrifuge, in der das Blutplasma abgesondert wird. Die zurückgebliebenen roten Blutkörperchen bekommt er über eine Infusion zurück. Nach zwei Stunden ist er wieder zurück.
„Die eigentliche Leistung“, befindet Loose, „besteht darin, jedesmal hinzufahren. Das Blut läuft ja allein raus.“ 30 000 Kilometer hat er fürs Blutspenden verjuckelt. Als er noch in der Schweinzuchtanlage des volkseigenen Gutes Sputendorf gearbeitet hat, ist er früh um sechs Uhr zur Arbeit und in der Mittagspause nach Potsdam zur Blutspende. Spätestens um 15 Uhr war er zurück im Stall.
Blutspender wurde Loose nicht, weil er eines Morgens aufwachte und überlegt habe, was er für die Menschheit tun könne. Bei einem Arzttermin brauchte man sein Blutbild und nahm ihm Blut ab. „Das Röhrchen war im Nu voll und es sprudelte, dass kein Pflaster hielt“, schildert Loose – leicht amüsiert – den Beginn seiner Spenderkarriere. Die Ärztin des Ludwigsfelder Krankenhauses empfahl Loose, Blutspender zu werden und schickte ihn ins benachbarte Autowerk, wo regelmäßig zum Aderlass gebeten wurde. Es gebe pro Spende 45 Mark, verhieß die Ärztin. Loose überschlug: „Das sind 24 Liter für eine Tankfüllung beim Trabi, 36 Mark. Dann reicht es noch für ein Abendessen mit der Frau und fürn Bier.“ Am 15. Oktober 1969 füllte sich das erste Mal eine Konserve mit Looses Blut.
„35 Prozent der deutschen Bevölkerung zwischen 18 und 68 Jahren können Blut spenden“, doziert der 62-Jährige. „Aber nur vier Prozent tun es.“ Und jeden Sommer gebe es das „gleiche Theater“: die Blutreserven werden knapp, weil die Menschen wegen der Hitze nichts spenden oder weil sie im Urlaub sind. Diesen Vorwurf lässt sich Loose nicht machen. Verreisen würde er, wenn ihm die jährlich maximalen 25 Liter Blut abgezapft sind und er acht Wochen bis zum nächsten Spende pausieren muss. Ansonsten hält ihn nichts von seinem Montagstermin ab – weder Familienbesuch, noch Wind und Wetter. Beim Jahreszeitenwechsel passt Loose auf, dass er nicht krank wird, um Blutplasma von guter Qualität zu liefern, achtet er auf eine eiweißreiche Ernährung. „Quark, Käse, Milch.“ Es gab noch keinen Blutspendetermin, bei dem Loose wegen eines Infekts wieder nach Hause geschickt wurde. „Stolz“ sei er darauf, sagt er, ohne dabei eine erkennbare Emotion zu zeigen.
Vor ein paar Wochen hat Ministerpräsident Matthias Platzeck dem Schenkenhorster den Rote-Adler-Orden verliehen. Vorgestern bekam er eine Urkunde vom Roten Kreuz für seine 1000. Spende. Niemand sonst in Deutschland geht so spendabel mit seinem Blut um wie Loose. Bis 1982 spendete er alle zwei Monate Vollblut – insgesamt 66 Mal. Dann wurden Spender für Blutplasma gesucht – ein Fall für Loose. Zunächst legte er sich alle zwei Wochen zur Plasmaspende auf die Pritsche. Moderne Technik und bessere Kontrollen ermöglichten später wöchentliche Abgaben. Loose wurde Stammgast beim Blutspendedienst. Um Platz für die Einträge in seinem SV-Buch zu sparen, wurde fortan nur jede zehnte Spende mit einem roten Stempel vermerkt – 150, 160, 170 und so weiter – fast zweieinhalb Jahrzehnte lang.
Der märkische Verdienstorden war nicht die erste Auszeichnung für den Blutspender Loose. Nach seiner 10. kostenlosen Spende bekam er eine Anstecknadel des Roten Kreuzes. Das war 1979. Zehn Jahre war Loose bereits zur Blutspende gegangen – insgesamt fünf Mal im Jahr. Vier Mal gab es Geld, das fünfte Mal war kostenlos. Als bei der Auszeichnungsfeier ein Zeitungsreporter ein Interview mit ihm machen wollte, brüskierten sich andere, die ausschließlich kostenlos gespendet hatten: „Blutverkäufer“ nannten sie ihn, so einer dürfe nicht in die Zeitung. Das traf ihn. Gleich am nächsten Tag hob er in der kleinen Schenkenhorster Bankfiliale der genossenschaftlichen Handelsgenossenschaft 1800 Mark vom Sparbuch ab – „Zwei Monatsgehälter!“ – und fuhr zum Blutspendedienst. „Ich möchte meine 1800 Mark zurückzahlen“, bedeutete er dem zuständigen Arzt. Der hatte mit dem ungewöhnlichen Anliegen Schwierigkeiten: In seinen Büchern gab es nur eine Spalte für Ausgaben und keine für Einnahmen. Schließlich wurde Loose sein Geld beim Kreiskomitee des Roten Kreuzes los.
Seitdem kennzeichnet ihn der Vermerk „Rotkreuz-Spender“ als einen, der kein Geld für sein Blut nimmt. Würde er jetzt aufhören, Blut zu spenden, würde es 15 Jahre dauern, bis wieder ein Brandenburger 1000 unentgeldliche Plasmaspenden vorzeigen kann – einen wöchentlichen Aderlass vorausgesetzt. Doch der 1000. Spendeneintrag ist der erste auf einer neuen Seite in Looses SV-Ausweis. Er fährt mit dem Finger über die leeren Zeilen und sagt: „Es geht noch weiter.“
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