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Verplombte Fracht. Die Feuerwehrleute aus Nuthetal wussten nichts von dem Gefahrgutpaket.

© jus

Potsdam-Mittelmark: Gefährliche Fracht

Ein Kleintransporter mit radioaktiver Ladung ist am Dreieck Nuthetal mit einem Sattelzug kollidiert. Stunden später drohte Brandgefahr. Polizei und Feuerwehr versuchten gestern, den Vorfall zu verschleiern

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Nuthetal - Entzündliche, explosive, infektiöse oder ätzende Stoffe werden jeden Tag über die Autobahnen der Republik transportiert, auch radioaktive. Man möchte nicht dabei sein, wenn etwas schiefgeht. Aber informiert sein möchte man schon. Am Montagabend ist ein Kleintransporter eines Paketdienstes mit radioaktiver Fracht am Dreieck Nuthetal auf einen Sattelzug aufgefahren. Der Fahrer wurde schwer verletzt, die Fracht blieb zum Glück unbeschädigt. Die Polizeidirektion West und die Potsdamer Feuerwehr waren gestern bemüht, den Vorfall zu verschleiern.

Polizeisprecherin Jana Birnbaum bestätigte erst auf mehrfache Nachfragen, dass in dem Kleintransporter neben „handelsüblichen Paketen“ auch ein Päckchen mit radioaktiven Medikamenten enthalten gewesen war. Weder von der Polizei noch von der Feuerwehr Potsdam wurde ein den PNN aus sicherer Quelle bekannter zweiter Einsatz auf dem Gelände eines Abschleppunternehmens in Potsdam bestätigt. Dort hatte, Stunden nach dem Unfall, wegen möglicher Kurzschlüsse Brandgefahr bestanden. Nicht auszudenken, was dann passiert wäre.

Im täglichen Bericht der Polizeidirektion West an die Presse war der Unfall in sechs Sätzen vermerkt, die Strahlenfracht überhaupt nicht erwähnt – da es sich ja lediglich um ein einzelnes Päckchen gehandelt habe, so Polizeisprecherin Birnbaum auf Nachfrage. „Verstöße gegen Transportvorschriften haben die Polizisten nicht festgestellt“, so Birnbaum. Ein Irrtum.

Nach PNN-Informationen war die Ladefläche zwar verplombt, der Transporter aber nicht mit dem Schild „Gefahrgutklasse 7“ gekennzeichnet, das für eine solche Fracht zwingend ist. Die Schilder lagen stattdessen nicht sichtbar in der Fahrerkabine. Die Feuerwehrleute aus Bergholz-Rehbrücke und Saarmund hätten nichts von der strahlenden Ladung gewusst, als sie den Fahrer aus der völlig demolierten Fahrerkabine ausschnitten, so ein Einsatzbeteiligter gegenüber den PNN. „Wir hätten das so oder so getan.“

Laut Polizeiangaben war der Unfallfahrer gegen 21 Uhr auf der Tangente zur A 10 mit seinem Fiat Ducato auf einen polnischen Sattelzug aufgefahren. Ein nachfolgender Berliner Kraftfahrer konnte nicht mehr ausweichen und striff den Ducato mit seinem Wagen. Die Feuerwehr mussten den eingeklemmten Kleintransporterfahrer mit Schneidwerkzeugen aus der Fahrerkabine befreien, der 52-Jährige aus dem Landkreis Offenbach wurde danach in ein künstliches Koma versetzt und mit schwersten Beinverletzungen ins Krankenhaus gefahren. Polizisten sperrten die Tangente in Fahrtrichtung Frankfurt (Oder) ab und leiteten den Verkehr bis etwa 23 Uhr über Michendorf um.

Der Sachschaden wurde auf 15 000 Euro beziffert. Der demolierte Kleintransporter wurde laut Polizeisprecherin Birnbaum zu einem Autohof gebracht, nach PNN-Informationen im Verkehrshof in Potsdam. „Dort hat der zuständige Disponent seine Ware übernommen und mit einem Ersatzfahrzeug weitertransportiert“, so Birnbaum.

Eine Verkürzung der Tatsachen, denn Mitarbeiter des Bergungsdienstes Potsdam-Nord hatten zuvor festgestellt, dass die Batterie nicht abgeklemmt war und Brandgefahr bestand. Potsdams Feuerwehr wurde herbeigerufen und klemmte die Batterie ab. Sie fand auch die Gefahrgutschilder im Wagen. Weder die Polizeidirektion noch Potsdams Chefbrandschützer Wolfgang Hülsebeck wollten den Einsatz bestätigen – ein trauriges Zeichen für die Informationspolitik im Land.

Gefahrgutexperte Andreas Schöbel sagte den PNN, dass Gefahrguttransporte in aller Regel sicher verpackt sind, schwach strahlendes Material gemeinhin in abschirmenden und hoch hitzebeständigen Bleiverpackungen. Für größere Strahlungsfrachten gelten spezielle Regeln. „Wir reden im Gefahrgutbereich von kleinen Transporten, in der Regel handelsüblichen Kartons, in denen sich die Bleiverpackungen befinden.“ Häufig handele es sich um Heilstoffe für Kliniken. Gefährlich seien sie so oder so.

Schöbel bildet an der Akademie für Transport und Verkehr in Cottbus Kraftfahrer für Gefahrguttransporte aus, sie müssen speziell qualifiziert werden. Für die Gefahrgutklasse 7 sei eine eigene Ausbildung nötig, so Schöbel. Selbst große Logistikfirmen hätten häufig allenfalls einen Kraftfahrer mit einer solchen Erlaubnis. In Brandenburg gebe es nur etwa ein Dutzend Kraftfahrer, die den Schein besitzen, so Schöbel. Sie müssen besondere Vorschriften einhalten, wie zum Beispiel größere Sicherheitsabstände im Verkehr. Sie dürfen nur so lange wie unbedingt nötig in der Nähe der Ware sein und müssen ein Dosimeter zur Messung der Strahlendosis tragen. Ob solche Vorschriften bei dem Unfall eingehalten wurden? Keine Antwort von der Polizei.

Die Transporte müssten – völlig unabhängig von der Menge der Ladung – als radioaktive Gefahrguttransporte mit einer Strahlungskennzahl gekennzeichnet sein, betonte Schöbel. „Bei einem Unfall wissen die Feuerwehrleute dann, was zu tun ist.“ Auch wenn es niemand der Offiziellen ausspricht: Das war am Montagabend offensichtlich nicht der Fall. Wie den Spezialvorschriften für solche Ernstfälle am Montagabend entsprochen wurde, wurde den PNN von der Polizei nicht beantwortet. Gefahren für Einsatzbeteiligte hätten nicht bestanden, versicherte Polizeisprecherin Birnbaum. Tatsächlich nicht? (mit jus)

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