Potsdam-Mittelmark: Geht nicht gibt“s nicht
Egon Mücke will in Bergholz-Rehbrücke einen Seniorenbeirat gründen, was gar nicht so einfach ist
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Nuthetal - Die Dippel-Dappel-Tour! Egon Mücke will etwas bewegen. Da bleibt ihm nur die „Dippel-Dappel-Tour“, wie er es nennt. Haustür auf, hin zum Grundstückstor, raus auf die Straßen von Bergholz-Rehbrücke und von Haustür zu Haustür, von Ortsverein zu Ortsverein, von Parteibüro zu Parteibüro, um zu reden und zu reden, und am Ende vielleicht sogar zu überzeugen. Klinken putzen, nennt man das auch. Gut 50 Meter sind es von Egon Mückes Haustür bis zum Grundstückstor an der Friedenstraße, die nach wenigen Metern in die Arthur-Scheunert-Allee übergeht. Jedes Mal 50 Meter, die Egon Mücke zeigen, dass er eigentlich genug zu tun hat auf seinem weitläufigen Grundstück mit den hohen Kiefern und schiefen Birken. Doch es gibt zu viele in seinem Alter, die sich nur um die eigenen Dinge kümmern oder nur noch kümmern können. Egon Mücke ist Rentner. Seit zweieinhalb Jahren. Doch ruhiger treten können andere. Für Egon Mücke gibt es viel zu viel zu tun.
„Wenn ich in Rente gehe, will ich nicht vor dem Fernseher verblöden.“ Das sagte sich Egon Mücke, kurz bevor er sich Ende Dezember 2003 für immer aus dem Ingenieurbüro verabschiedete, wo er zuletzt gearbeitet hatte. Und er sagt es jetzt, gleich am Anfang des Gesprächs. Damals sagte Egon Mücke diesen Satz gegen das ungute Gefühl, dass der wohlverdiente Ruhestand vielleicht einem Stillstand gleichkommen könnte. Heute sagt er ihn, dass er wie eine Rechtfertigung klingt, weil Egon Mücke mit 67 Jahren einfach nicht still stehen will.
Egon Mücke will einen Seniorenbeirat für die Gemeinde Nuthetal. Als vor ein paar Wochen in der Akademie 2. Lebenshälfte in Bergholz-Rehbrücke der Workshop „Problematik Senioren“ begann, wurde gefragt, ob es in der Gemeinde einen Seniorenbeirat gäbe. Egon Mücke antwortet mit einem „Nein“. Und im selben Moment war ihm klar, dass sich das ändern müsse.
Seniorenbeiräte sollen die Interessen älterer Menschen in der Öffentlichkeit vertreten. „Sie arbeiten als Bindeglied zwischen Senioren und Kommunen für eine bürgernahe und seniorenfreundliche Kommunalpolitik“, heißt es im Seniorenwegweiser 2006/2007 „Älter werden in Potsdam-Mittelmark“. In Kleinmachnow, Stahnsdorf, Beelitz, Belzig, Treuenbrietzen und Werder gibt es sie. In Michendorf und Schwielowsee befinden sie sich in Gründung. In Bergholz-Rehbrücke steht Egon Mücke noch ganz am Anfang.
„Wir brauchen ein Sprachrohr“, sagt Egon Mücke, formt dabei die rechte Hand wie einen Trichter und hält sie sich vor den Mund, so, als ob man ihn missverstehen könnte. Da fährt sonntags kein Bus mehr nach Tremsdorf, wo doch gerade alte Leute darauf angewiesen sind, wenn sie jemanden besuchen wollen. Da wird im Winter zwar der Schnee auf den Gehsteigen gefegt, aber an den Straßenübergängen liegen dann die Haufen und machen den Älteren das Laufen noch schwieriger. Oder der Panoramaweg rund um Rehbrücke. Alles schön und gut, sagt Egon Mücke. Viele Rentner im Ort wandern gern. Doch wenn sie mal ausruhen möchten, fehlen die Bänke. Es sind oft ganz banale Dinge, sagt Egon Mücke. Doch es sind Dinge, die den Senioren wichtig sind. Manchmal, wenn er davon erzählt, rudert Egon Mücke mit den Armen oder schlägt sich mit der Hand an die Stirn. Das alles ist doch gar nicht so schwer zu begreifen. Schwer ist es nur, an den Zuständen etwas zu ändern.
Auf seinen Dippel-Dappel-Touren, wenn Egon Mücke Unterstützer und Mitstreiter für den Seniorenbeirat sucht, spricht er immer wieder die fehlenden Bänke auf dem Panoramaweg an. „Mensch Egon, weißt Du denn, was so eine Bank kostet?“, bekommt er dann immer wieder zu hören. Zustimmung für die Idee vom Seniorenbeirat bekommt er prompt, doch was die konkrete Unterstützung betrifft, hört Egon Mücke immer wieder: Ja aber, Ja aber, Ja aber.
Ja aber, das klingt zwar diplomatischer, heißt aber in den meisten Fällen, dass es nicht geht. Aber Egon Mücke gibt sich mit so einer Antwort nicht zufrieden.
Im erzgebirgischen Oelsnitz geboren, Industriebauer gelernt, kam Egon Mücke nach seinem Bauingenieurstudium 1965 nach Rathenow. Zwei Jahre arbeitete er für das Rathenower Hochbaukombinat auf Großbaustellen in Schwedt, Treuenbrietzen und Strausberg, war nur an den Wochenenden zu Hause. Dann sagte seine Frau: „Schluss damit“. Die Tochter war geboren, die Familie sollte mehr Zeit miteinander verbringen. Egon Mücke wechselte in die Verwaltung. 1974, mittlerweile war ein Sohn geboren, ging er nach Potsdam, betreute hier unter anderem den Bau des Wohngebietes Am Stern. Mietwohnungen für Arbeiter. Doch Egon Mücke wollte nicht in so einer Wohnung leben. Die eigenen vier Wände sollten es schon sein.
1975 kaufte er in Rehbrücke ein Grundstück, ein Jahr später begann er mit dem Hausbau. Mehrmals war sein Antrag mit dem selbst entworfenen Haus abgelehnt worden. Nicht Individualität, sondern Standard war gefragt. Fast zehn Jahre hat Egon Mücke gebraucht, bis er endlich in sein eigenes Haus ziehen konnte. Zehn Jahre, in denen er seine Gesundheit ruiniert hat. Zehn Jahre, in denen er gelernt hat, dass es immer irgendeinen Weg gibt.
Schaut Egon Mücke heute auf das flache Häuschen auf seinem Grund, sagt er oft den Satz: „An meinem Haus hängt meine Wirbelsäule“. Er hat sich krumm geschuftet, fast alles allein machen müssen. Immer nach Feierabend, immer am Wochenende und im Urlaub. Wenn er da nicht gerade in einer Ziegelfabrik arbeitete. Nicht für Geld, sondern um an die nötigen Steine zum Bauen zu kommen. Egon Mücke hat immer einen Weg gefunden, auch wenn es oft genug so aussah, dass es keinen gibt. Denn bevor Egon Mücke, der nie in die Partei eingetreten war, begann, sein Haus zu bauen, musste er versichern, der Volkswirtschaft der DDR durch sein Vorhaben keine wichtigen Arbeitskräfte zu entziehen. Und so war Egon Mücke auf „Nachbarschaftshilfe“ angewiesen, auf das typische Planen und Materialbeschaffen um hundert Ecken.
Um Egon Mückes Bemühen um einen Seniorenbeirat zu verstehen, muss man sich nur die Geschichte seines Hauses erzählen lassen. Wer in der DDR ein Haus gebaut hat, der lässt sich auch heute nicht so einfach von einem Vorhaben abbringen. Gut, beim Hausbau hat sich Egon Mücke den Rücken kaputt gemacht, mittlerweile zwei Hüftoperationen hinter sich. So weit wird er für den Seniorenbeirat nicht gehen. „Ich werde sehen, was machbar ist und mit welchem Aufwand.“ Langer Atem, Ausdauer und Geduld bei kurzen Schritten attestiert sich Mücke. Beste Voraussetzungen also. Manchmal, da schimpft seine Frau mit ihm, weil er Briefe, Telefonate und Faxe aus eigener Tasche bezahlt. Dass diese ehrenamtliche Arbeit kaum beachtet und meist bis auf einen „feuchten Händedruck“ auch nicht weiter gewürdigt wird, ist für Egon Mücke ein Grund, warum sich immer weniger Senioren dafür bereit erklären. „Viele haben auch resigniert, sind enttäuscht von der Politik“, sagt er.
Alles Gründe, die für Egon Mücke nicht zählen. Er zitiert gern den amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy: „Frag nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern frag, was du für dein Land tun kannst“. Das mag ein wenig pathetisch klingen, schließlich geht es hier nur um einen Seniorenbeirat. Doch mit solchen Dingen fängt es an. „Zehn Mitglieder muss der Seniorenbeirat haben. Und alle Ortsteile sollen mit im Boot sein“, sagt Egon Mücke. Dafür wird er auch weiter auf die Dippel-Dappel-Tour gehen.
Wer Egon Mücke unterstützen möchte, meldet sich unter Tel.: (033200)85 8 28.
Dirk Becker
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