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Potsdam-Mittelmark: Gelächter auf dem Galgenberg

Museumstag: Schüler lesen die Galgenpoesie von Christian Morgenstern

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Werder (Havel) - Goldgelb sprühen die Flammen in dieser Nacht dem Himmel entgegen. Ihre Funken tanzen in der kühlen Luft. Gelegentlich steigen Rauchschwaden auf. Sie riechen noch ein wenig nach frisch gespaltenem Kiefernholz. Vier Eisentonnen sind die Feuerstellen. Sie stehen auf der Bismarckhöhe in Werder, die am Sonnabend erstmals auch beim Tag der Museen für Besucher geöffnet war. „Feuer und Flamme für unsere Museen“ war das Motto. In der einstigen Höhengaststätte stand am Abend die Kulturveranstaltung „Treffpunkt Galgenberg“ mit Werken von Christian Morgenstern und musikalischer Begleitung auf dem Programm.

Cordelia streicht sich eine ihrer blonden Strähnen aus der Stirn. Die 18-Jährige ist eine der Schülerinnen und Schüler des Evangelischen Gymnasiums Hermannswerder, die die Vorstellung vorbereitet haben. „Es folgt der Nachtgesang des Fisches – in voller Länge“, kündigt sie an. Dann stellen sich die sieben Schüler in Chorformation auf. Lehrer Jürgen Raßbach ist der Dirigent. Statt zu singen bewegen die Schüler ihre Lippen – wie Fische unter Wasser, wenn sie nach Algen schnappen. Gelächter schallt durch den Raum.

So ähnlich muss es gewesen sein, als Christian Morgenstern selbst vor rund 110 Jahren mit seinen Galgenbrüdern hier auf der Anhöhe saß. Die Burschen zechten und ulkten, wenn sie die grotesken Verse lasen, die der damals 24-Jährige Morgenstern für sie geschrieben hatte. Morgenstern war ein blasser Geselle, der meist einen Schlapphut trug.

Der Galgenberg war nicht nur für den Namen dieser Art von Poesie bezeichnend. „Man sieht vom Galgen die Welt anders an und man sieht andere Dinge als Andere“, beschrieb der Dichter ihren Geist. Mit seinem schwarzen Humor stellte Morgenstern in den Gedichten vor allem die bürgerliche Gesellschaft seiner Zeit an den Pranger. „Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen ist Morgenstern unterbewertet“, sagt Deutschlehrer Raßbach. Er hofft, mit der Morgenstern-Aufführung unter dem Titel „Sündfloh, Siebenschwein und Silbergaul“ mehr Aufmerksamkeit zu wecken für den einstigen Stammgast auf der Bismarckhöhe.

Im Salon geht es weiter mit einem Brief Morgensterns, den der Dichter im Jahre 1893 in Breslau geschrieben hat: „Bringe was du in der Welt zu sagen hast, möglichst schnell unter Dach und Fach, bevor das Leben zu Ende ist.“ Im Saal ist es still. Einige Zuschauer sehen den jungen Mann am Rednerpult an, andere haben den Blick gesenkt. Manche von ihnen schauen aus dem Fenster, wo noch immer das Feuer in der Tonne lodert. Es seien nicht nur die humorvollen Galgenlieder, durch die sich das Werk Morgensterns auszeichne, betont der Lehrer, sondern auch tiefsinnige und mystische Stücke.

Dennoch endet die Lesung mit Gelächter. Morgensterns Reime sind geniale Gedankenspiele mit Worten und Redewendungen, die durch konsequentes Wörtlichnehmen eine überraschende Pointe erfahren. Lydia, die einige der Galgenlieder vorgetragen hat, ist zufrieden mit dem Ergebnis: „Wir hatten wenig Vorbereitungszeit und waren alle ein wenig unsicher. Das Zusammenspiel hat aber gut geklappt.“ An das „Nasobem“ und den „Wemwolf“ werden sich die 70 Zuschauer wohl noch lange erinnern.

Auch die vier Brüder Samuel, Johannes, David und Josef leisteten mit ihren Bläser- und Streichereinlagen einen gelungenen Beitrag. Darüber, dass der Funke zum Publikum übergesprungen ist, können sich die Schüler sicher sein. Langsam schlendern die Besucher anschließend über das Plateau vor dem historischen Ballsaal. In den Tonnen knackt noch das Holz.

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