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Plötzlich ist alles anders. Das Risiko, an Demenz zu erkranken, steigt mit zunehmendem Alter: Bereits über 40 Prozent der Menschen über 90 Jahre ist erkrankt. Auch das Leben der pflegenden Angehörigen verändert sich durch die Krankheit. Häufig betreuen sie die Demenzpatienten rund um die Uhr. Das kann schnell zu einem Burn-Out führen.

© Oliver Berg/dpa

Potsdam-Mittelmark: Gelbe Zettel als letzte Hoffnung

Diagnose Demenz: Eine Phöbenerin berichtet darüber, was das für Angehörige bedeutet

Von Eva Schmid

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Werder (Havel) - Ein kleiner gelber Zettel klebt auf der Küchenablage, ein weiterer auf dem frisch gewaschenen Kleiderstapel. Darauf steht: „Papa, bitte frühstücken“ und „Bitte duschen und frische Wäsche anziehen“. Doch wenn Anne Maaßen nach ihrem Vater schaut, dann sind die Zettel meist noch an Ort und Stelle, Kleiderstapel und Frühstücksteller unangerührt. Seit gut einem Jahr ist klar, dass der 90-jährige Vater an Demenz leidet. Was das bedeutet, hat die Tochter erst erfahren, als die Mutter gestorben ist. Seither hat sich das Leben der Phöbenerin grundlegend geändert.

„Anfangs dachte ich, ich kann Papa doch nicht alleine lassen“, erinnert sich die 60-jährige Frau, die erst vor wenigen Jahren aus dem Ruhrgebiet an den Zernsee zog. Wenn sie vormittags einkaufen war, wurde sie nervös. Gehetzt, mit Blick auf die Uhr erledigte sie die Einkäufe. Dabei hatte sie immer ein schlechtes Gewissen. „Und als ich zurückkam, hatte mein Vater gar nicht bemerkt, dass ich weg war.“ Dennoch fragte sie sich immer wieder: Muss ich ihn mehr unterhalten? Muss ich mehr bei ihm sitzen? „Dadurch fühlte ich mich immer mehr vereinnahmt, unfrei und nur nach der Uhr lebend“, so die Tochter. Von seinem Rhythmus, der ihm früher wichtig war, ist wenig geblieben. Er weiß nicht mehr, wie spät es ist, vergisst die Wochentage. Das Schlimmste sei die schleichende Veränderung der Persönlichkeit.

Immer mehr Familien werden in naher Zukunft ähnliche Erfahrungen sammeln: In Brandenburg wird sich die Zahl der an Demenz Erkrankten verdoppeln, von fast 44 000 im Jahr 2009 auf über 87 000 Personen im Jahr 2030. Wir werden immer älter, damit erhöht sich das Risiko an Demenz zu erkranken. Auch der Bevölkerungsrückgang führe dazu, dass der Anteil an Demenzpatienten an der Bevölkerung stark ansteigt, heißt es aus dem brandenburgischen Sozialministerium. Für den Landkreis Potsdam-Mittelmark bedeutet das nach den Prognosen des Ministeriums einen Anstieg um 117 Prozent. Was bei derartigen Berechnungen nicht erwähnt wird, ist die Belastung für die Angehörigen.

„Es gibt pflegende Angehörige, die unter Burn-Out leiden“, berichtet Martina Alband. Sie leitet das Netzwerk „Aktion Demenz PM“ im Landkreis. Dort sind alle relevanten Einrichtungen, Beratungsstellen sowie das Landratsamt vernetzt. Schnell stoße man an seine Grenzen, besonders dann, wenn der Tag-Nacht-Rhythmus des Demenzpatienten aus dem Takt gekommen ist, so Alband. Immer öfter wird daher mit Erholung für Angehörige geworben: Alzheimerurlaub mit Angehörigen in einem Vier-Sterne-Hotel in Bad Ischgl oder Urlaub in einem speziell ausgestatteten Landhaus mit Sauna, Schwimmbad und Massage in Nordrhein-Westfalen. In Planung ist derzeit auch Deutschlands erstes Demenz-Klinik-Hotel. Solche Angebote bieten Angehörigen eine Auszeit: Sie sollen von dem anstrengenden Alltag abschalten, ohne den Partner oder den Elternteil zu Hause zurückzulassen. Auch Antje Baselau von der brandenburgischen Alzheimer-Gesellschaft bestätigt den Trend dieser Urlaubsform. Die zehn Tage betreuten Urlaub, die der Regionalverband jährlich anbietet, seien regelmäßig ausgebucht, die Wartelisten lang.

Doch der Vater von Anne Maaßen möchte nicht mehr verreisen. „Auch auf Ausflüge hat er keine Lust mehr“, sagt seine Tochter. Dabei fühle er sich unsicher: Das Essen mit Besteck fällt ihm schwer, auf dem Weg zur Toilette verläuft er sich. Immerhin nehme er noch wahr, dass ihm solche Situationen unangenehm sind. Wenn die Tochter über ihren Vater spricht, dann wirkt sie geduldig und lacht sogar. Es sei nicht leicht, aber sie hat gelernt, seine Demenz zu akzeptieren. Obwohl jeden Tag dieselben Aussagen und Fragen kommen. Jetzt will sich die Phöbenerin mit anderen Betroffenen in Werder austauschen und eine Selbsthilfegruppe gründen. Wie organisiert man am besten den Alltag und wie geht es den Angehörigen dabei, das seien für sie wichtige Themen. Um den Alltag zu meistern, helfe ihr eine Portion Humor. Gerade dann, wenn ihr Vater ihr wie so oft klarmacht, dass er sich selbst um sein Essen kümmert und später sein Magen knurrt. „Da reagiere ich mit einem netten Augenzwinkern und sage: Da hast du wohl mal wieder was vergessen, Papa.“

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