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Potsdam-Mittelmark: Geschichte erwandern

Beim Rundgang entlang der früheren Grenze in Kleinmachnow berichteten Zeitzeugen von der Mauer

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Kleinmachnow - Der Blick auf die Landkarte macht die Lage schnell klar: Kleinmachnow ragt wie ein Zipfel in die Metropole Berlin hinein. Barbara Sahlmann zeigt mit dem Finger auf einen kleinen Fleck im Südwesten der Hauptstadt: „Hier hätte man eigentlich nur einen geraden Strich ziehen müssen, dann wären wir Berlin zugeschlagen worden.“ Vor den Sowjets hatten die US-Amerikaner den kleinen Ort im Mai 1945 schon besetzt, aber nach einem Deal der Siegermächte wurde der Berliner Vorort zur sowjetischen Besatzungszone. Aufmerksam lauschten rund 50 Teilnehmer der Mauerwanderung am Sonntagvormittag den beiden ortskundigen Führern Barbara Sahlmann und Klaus Jürgen Warnick. Auch Gäste aus der Partnerstadt Schopfheim nahmen an der Tour teil, die am ehemaligen Bahnhof Düppel begann.

Unter Laub und Erde sind dort noch die alten Schienen der Stammbahn zu sehen, auch Reste des Bahnsteiges. 1982 wurde die Linie eingestellt. Klaus Jürgen Warnick kann sich noch erinnern an die Verkaufsbuden, die am Bahnhof standen, und daran, wie er als Junge zum „Schmuggler“ wurde. Denn am Bahnhof verlief die Grenze und dort wurden alle kontrolliert, mit Ausnahme der Kinder. Die schleusten dann Zigaretten, Colgate-Zahncreme und viele andere West-Begehrlichkeiten an den Bewachungsmannschaften vorbei.

Bei Barbara Sahlmann war es die Oma, die ein paar Lebensmittel, wie Kaffee oder Südfrüchte, an den Kontrollen vorbeischleuste. Später nach dem Mauerbau stand die Oma manchmal oben auf dem hölzernen Ausguckturm auf der Westseite und winkte ihren Verwandten auf der anderen Seite zu. Der Turm ist nicht mehr da. In unmittelbarer Nähe steht heute ein Denkmal, das an vier Mauertote erinnert.

Einer davon, der Kleinmachnower Walter Kittler, war gerade 23 Jahre alt, als er 1965 mit einem Freund in einer Oktobernacht fliehen wollte. Sie hatten bereits die erste Mauer hinter dem Garten des Hauses 53 in der Stammbahn überwunden, als Grenzsoldaten sie aufspürten. Ein Grenzer hatte dem Freund in die Füße geschossen. Kittler unverletzt, hatte sich gerade ergeben, als der Kommandeur dazustieß und 30 Schuss auf den Flüchtling abgab. Mehrfach getroffen ging Kittler zu Boden. Der Freund, so berichtet Barbara Sahlmann, sei nach vier Jahren Haft vom Westen freigekauft worden und habe nach dem Mauerfall als Zeuge im Prozess gegen den Kommandeur ausgesagt. Der wurde als Todesschütze vom Bundesgerichtshof zu zehn Jahren Haft verurteilt, es war die höchste Strafe, die in einem Mauerschützenprozess ausgesprochen wurde.

Auf dem ehemaligen Todesstreifen haben sich in den letzten 25 Jahren Bäume und Sträucher angesiedelt, dazwischen verläuft ein Pfad, der bei Joggern und Hundehaltern beliebt ist. „Kurz nach dem Mauerfall haben wir noch gedacht, hier wird so schnell nichts mehr wachsen, nachdem jahrzehntelang Herbizide rein geschüttet wurden, um die Sicht frei zu halten“, erinnert sich Sahlmann. Aber die Natur habe sich schon nach kurzer Zeit alles wieder zurückgeholt.

Auf einem Foto, das Sahlmann den Teilnehmern zeigt, ist ein breiter Sandstreifen zu sehen, flankiert von einer Mauer zu beiden Seiten. In größeren Abständen standen Wachtürme und Lichtmasten. Auch Hunde wachten an der Grenze, ihr Gebell gehörte für die Anwohner zur normalen Geräuschkulisse. Auch nachts war es stets taghell an der Mauer. Dass die Grenze vor den Faschisten schützen solle, weshalb sie offiziell antifaschistischer Schutzwall hieß, habe keiner mehr geglaubt, nachdem er die Stacheldrahtzäune sah. „Denn die Stacheln waren gegen Osten gerichtet“, so Sahlmann.

„Als Kinder waren wir hier oft Pilze sammeln und haben neben etlichen Stahlhelmen auch noch Pistolen gefunden, die uns aber die Erwachsenen abnahmen“, erzählt Warnick wenig später an einem Laubwald. Warnick gehörte zu den hundert Leuten, die sich am Abend des 9. November 1989 an der Grenzübergangsstelle Dreilinden einfanden. „Mein Auto war das fünfte, das nach langem Warten gegen 0.30 Uhr die Grenze passieren durfte.“ Davor habe man sich mit den Grenzern unterhalten. „Die hatten an dem Abend für ihre Waffen gar keine Munition, der diensthabende Offizier hatte alles weggeschlossen, wollte kein Risiko“, sagt Warnick. Eine Grenzerpuppe im Eingang des Kontrollturms „Checkpoint Bravo“ sorgte dann auf dieser letzten Station der Wanderung für einen Schreckmoment: „Das ging mir jetzt aber durch, war beinahe wie früher bei der Passkontrolle“, sagt eine ältere Dame.

Kirsten Graulich

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