Potsdam-Mittelmark: Geschichte unterm Apfelbaum
In fünfter Generation bewirtschaftet die Glindower Familie Wels Obstplantagen – traditionell und modern
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Werder (Havel) - Die letzten Meter sind eine staubige Angelegenheit, die Mühlenstraße ist trocken und sandig. Doch der Abstecher lohnt sich: Es bietet sich ein herrlicher Blick über eine Obstplantage, deren weißen Blüten wie Meereswellen in der Sonne glitzern, weiter über die bunte Glindower Dachlandschaft bis zur Heilig-Geist-Kirche von Werder. Während dort unten das Baumblütenfest tobt, trifft sich hier oben, wer es beschaulicher mag.
Auf der Plantage der Obstzüchter-Familie Wels stellen sie jedes Jahr zum Baumblütenfest Holzbänke und Tische zwischen die Baumreihen, füllen Kaffee in Thermoskannen, schmieren Schmalzstullen, backen Kuchen und holen den selbstgemachten Obstwein aus dem Keller. 13 verschiedene Sorten sind es in diesem Jahr. „Wir haben gern fremde Leute im eigenen Garten“, sagt Juniorchef Heiko Wels und resümiert im feinsten Berliner Dialekt das Auftaktwochenende des diesjährigen Baumblütenfestes: „Das war jut und das Wetter hat hinjehauen.“
Seit nach dem Mauerfall das Baumblütenfest nicht nur von und für Werderaner gefeiert wird, sondern – wie einst – vor allem Hauptstädter in Berlins größten Obstgarten pilgern, lädt auch Familie Wels zum Gartenfest. „Begonnen hat es damit, dass wir an unserem Marktstand in Berlin die Kunden zu uns eingeladen haben, um ihnen zu zeigen, wo das Obst herkommt“, sagt Wels.
Bei all den Veränderungen, die das Baumblütenfest in seiner 133-jährigen Geschichte erfahren hat, ist die Idee erhalten geblieben, die 1879 die Werderaner Obstbauern erstmals mit einem Fest zur Blütenpracht verbanden: schon im Frühjahr Geld in die Kasse zu bekommen. „Daran hat sich nichts geändert“, gibt Heiko Wels bei aller Gastfreundschaft zu. Noch immer ist das Fest auch eine Einnahmequelle, um die Ernte vorzufinanzieren. „Dünger, Strom, Wasser, Erntehelfer – alles muss bezahlt werden“, zählt der 44-Jährige auf.
Vor allem Wasser ist teuer geworden – die staubige Anfahrt ist nur ein Beleg für die zunehmende Trockenheit, die nach dem schnellem Wechsel vom Winter zum Sommer den Obstbauern immer mehr zu schaffen macht. Der märkische Sandboden war schon immer ein schlechter Wasserspeicher, weshalb vor fast 80 Jahren in Glindow ein Brauchwasserwerk gebaut wurde, um Havelwasser auf die regionalen Obstplantagen zu pumpen. Ob das total marode Werk saniert wird oder neue Brunnen gebaut werden, ist seit Jahren strittig, für die Obstzüchter aber eine Existenzfrage. „Wir brauchen eine Lösung“, sagt Wels und formuliert fast pathetisch, was die Obstbauern hören wollen: „Jetzt habt ihr Wasser, darauf könnt ihr bauen.“
Von Klimawandelsorgen und wirtschaftlichem Druck bekommen die Baumblütengäste nichts mit beim Schmalzstullen-Picknick mit Obstwein. Dass wasserspeichernde Anlagen aus Israel die Plantagen beregnen, bleibt ihnen verborgen. Ebenso neue Sortenzüchtungen, mit denen es gelingt, dass ein im Herbst gepflanzter Baum schon im darauffolgenden Frühjahr Früchte trägt. „Mein Opa versteht nicht, wie das geht“, sagt Heiko Wels, aber in Berlin fragt kein Mensch danach, noch macht sich jemand die Mühe, es zu verstehen. Denn Obst in den Regalen ist keine Frage der Jahreszeit mehr, sondern der Herkunft, es ist nahezu eine Selbstverständlichkeit, dass es immer alles gibt.
Selbstverständlich liefert der Obsthof Wels daher die ganze Palette, die ein Jahr und die Region zu bieten haben: „Mit Erdbeeren geht es los, dann Süß- und Sauerkirschen“, zählt Wels auf, „dann kommt das ganze Beerenobst, dann Pflaumen, Äpfel und Birnen.“ Zehn Hektar rings um Glindow bewirtschaftet der Familienbetrieb, hinzu kommt die gleiche Fläche an Frei- und Wechselfläche.
Es ist inzwischen die fünfte Generation seit 1848, die das Familiengeschäft führt. Als nach der Wende Heiko Wels’ Vater die ganzen Flächen wiederbekam, die in der DDR-Zeit staatliches Genossenschaftsland wurden, pflanzten sie 1991 ihren ersten Apfelbaum. Zwei Sorten verkauften sie auf dem Markt in der Spandauer Obstallee. „Das war den Berlinern zu wenig“, erinnert sich Wels. Heute stehen auf den Plantagen Bäume 20 verschiedener Apfelsorten – und die Berliner strömen in Scharen, um sich an der Blütenpracht – und am Wein – zu berauschen.
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