Potsdam-Mittelmark: Gestrandet hinterm Oderdeich
Das 80-Quadratmeter-Wochenendhaus der Kramers ist ein alter Kahn, der 1902 in einer Stettiner Werft gebaut wurde
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Das 80-Quadratmeter-Wochenendhaus der Kramers ist ein alter Kahn, der 1902 in einer Stettiner Werft gebaut wurde Von Bernd Kluge Die Kramers sind es gewohnt – das ungläubige Staunen von Passanten. „Die sind manchmal so verdutzt, dass sie fast vom Rad fallen“, lacht Ursula Kramer. Anlass zur Verwunderung gibt das Wochenendhaus des Ehepaars, das sich gleich hinter dem Deich im Oderbruch-Dorf Kienitz befindet. Das schmucke 80-Quadratmeter-Domizil ist ein alter Oderkahn, der nicht erst seit der jüngsten Hitze auf dem Trockenen steht. Vor allem am gewölbten Schiffsrumpf, der anstelle eines Haussockels auf den Fundamenten ruht, ist die eigentliche Funktion des alten Dampfers noch erkennbar. Das eigentliche Hinterdeck – begrenzt durch miteinander per Tau verbundene Pfeiler – ist jetzt die Sonnenterrasse. Seit 1997 werkelte das Ehepaar aus Berlin an dem ungewöhnlichen „Hausboot“. Zuvor hatte der alte Oderkahn mit dem Namen „Kienitz“ schon ein paar Jahre ungenutzt herumgelegen. „Die Vormieter hatten den Schiffsrumpf mit Karnickelställen und Schuppen so zugebaut, dass vom eigentlichen Kahn gar nichts mehr zu sehen war“, erzählt der leidenschaftliche Angler Manfred Kramer und zeigt alte Fotos. Eigentlich hatte der Kfz-Meister die schrottreife „Kienitz“ zerlegen wollen, um auf dem 4000 Quadratmeter großen Grundstück neu zu bauen. Doch da waren ihm die Dorfbewohner regelrecht aufs Dach gestiegen, wie er sagt. „Wir konnten das Wahrzeichen ihres Ortes nicht einfach abreißen“, sagt er. Gefliestes Bad im Boot Insgesamt knapp 77 000 Euro, viel Elan und handwerkliches Geschick haben die Kramers bereits in ihr Wochenenddomizil investiert: Vor allem in den Innenausbau des 100 Jahre alten Schiffs, das 1902 in einer Stettiner Werft gebaut worden war. Aus den bedrückend engen Kajüten, der Kombüse und dem schmalen Schiffsgang inklusive halsbrecherischen Treppen der „Kienitz“ zauberten sie zwei großzügig gestaltete, holzverkleidete Zimmer, eine kleine, komfortable Küche sowie ein gefliestes Bad. Johann Schloosch, einst Mitarbeiter des Wasserstraßenamtes Eberswalde, ist schuld daran, dass der Kahn schon seit Jahrzehnten auf dem Trockenen liegt, erinnern sich Einheimische. Als der Schiffsführer in Rente ging, musste er aus seiner Dienstwohnung ausziehen. In Ermangelung eines eigenen Häuschens zog der alte Schiffer sich den ausgedienten Oder-Kahn an Land, der zuvor zu Wartungsarbeiten, Pflege der Buhnen und anderer Wasserbauwerke genutzt worden war. Da die „Kienitz“ über keinen eigenen Antrieb verfügte, musste sie stets mit Hilfe eines Schleppschiffes zum jeweiligen Einsatzort gezogen werden. Nachbar Günter Florian kann sich noch gut erinnern, wie der ausgediente Arbeits-Kahn Ende der 50er Jahre in einer spektakulären, tagelangen Aktion über den Deich gehievt wurde. „Das Schiff sollte eigentlich verschrottet werden. Schloosch aber wartete auf hohe Wasserstände und schob es zunächst mal ans Ufer.“ Die örtliche Maschinen- und Traktorenstation hatte gerade acht Kettenfahrzeuge aus der Sowjetunion bekommen. Mit Rollen unter dem Rumpf zogen der ehemalige Schiffsführer und einige Helfer die „Kienitz“ bis auf den Deich. „Da ging es dann nicht weiter“, so der Augenzeuge. Mit Hilfe von Schiffswinden, die Schloosch zwischen den dicken Bäumen hinter dem Deich verkeilte, einer großen Flasche Rum und einigen Helfern kurbelte er sein künftiges Heim Zentimeter für Zentimeter über den Damm. So ist es in der Dorfchronik verankert, und so erinnert sich auch Florian. Was noch für die abenteuerliche Geschichte spricht: Kramers entdeckten beim Entrümpeln vor ein paar Jahren die verrosteten Winden, sie waren eingewachsen in die Baumwurzeln.
Bernd Kluge
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