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Potsdam-Mittelmark: Geteilte Erde im vereinten Land

Auf Peter Klassens Grundstück am Wolfswerder lastet deutsche Geschichte noch immer

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Auf Peter Klassens Grundstück am Wolfswerder lastet deutsche Geschichte noch immer Von Peter Könnicke Kleinmachnow - Jetzt, im Dezember, ist die Landschaft grau. Das Gras auf den Grundstücken wirkt leblos und das trübe Licht des Tages liegt schwer über den Häusern am Wolfswerder. Auf der einen Seite kreuzt der Jägerstieg, auf der anderen die Ginsterheide. Die Namen klingen so friedlich, dass man nicht glauben mag, dass vor 15 Jahren genau hier der Kalte Krieg den Leuten das Wohnzimmer verdunkelte. Hinter der Reihe mit den 20 Häusern stand die Berliner Mauer. Das Echo, dass durch den Abriss der Mauer entstand, nimmt Peter Klassen noch heute heftig war. Als die Hammerschläge verhallt waren und der Blick hinüber zur Neuruppiner Straße nach Zehlendorf ungehindert schweifen konnte, begann ein neuer Kampf: um jüdisches Alteigentum, um Mauergrundstücke, um redlich erworbenen Grund und Boden, gegen Bebauungspläne, von denen Klassen meint, dass sie sein Haus erneut entwerten würden. Es ist historisch belasteter Boden am Wolfswerder, hier sind die einzelnen Kapitel der vergangenen Jahrzehnte illustriert mit den hässlichen Bildern deutscher Geschichte. Unter dem Druck der Nationalsozialisten verlor hier 1935 der jüdische Bankier Ullrich Mühlmann seinen Besitz – ein 77500 Quadratmeter großes Siedlungsterrain. Nach dem Krieg kauften Peter Klassens Großeltern am Wolfswerder Haus und Grundstück. 1962 wurde ein Teil zwangsenteignet – für den Bau der Mauer. Als die Mauer fiel, erhob die Jewish Claims Conference (JCC) Anspruch auf die Grundstücke, die einst jüdisches Eigentum waren. Nach über zehn Jahren zog 2001 ein Richterspruch erneut eine Grenze durch die Parzellen am Wolfswerder. Das Vermögensrecht sprach der JCC den Streifen Land zu, der 40 Jahre die Grenze markierte. Das Stück Land, das auch Klassens Großeltern weggenommen wurde. „Es wurde nach dem Prinzip des Erstgeschädigten entschieden“, meint Peter Klassen. „Man hätte es auch rückwärts spulen können.“ So blieb ihm nach dem Mauerfall nur das von seinen Großeltern zu DDR-Zeiten erworbene Haus und der Boden darunter, die andere Hälfte gehört der JCC. Die deutsche Geschichte hinterließ hier ein geteiltes Grundstück im vereinten Land. Mit dem Blick eines Immobilienkaufmanns sind die einstigen Mauergrundstücke am Wolfswerder noch immer totes Land. Sie liegen in der zweiten Reihe, weshalb sie nicht bebaut werden dürfen. Einzig zwei Eckgrundstücke kämen in Frage. Die JCC würde sie bebauen, doch hat das Kleinmachnower Bauamt einer Bauvoranfrage eine Absage erteilt. Die betreffenden Eckgrundstücke werden als Teil eines innerörtlichen Grünzuges gesehen. „Eine Bebauung würde das Orts- und Landschaftsbild nachteilig verändern“, so der Einwand der Bauverwalter der Kommune und bislang auch der Gemeindevertreter. Um zu verhindern, dass die Ecke bebaut wird, stellte die Gemeinde einen Bebauungsplan auf, um, wie es darin heißt, „den baulichen Verdichtungsprozess zu lenken“. Doch Kleinmachnow zeigte sich gegenüber den wirtschaftlichen Interessen der JCC kompromissbereit und bot das nächstgelegene Flurstück zur Bebauung an. Ein einziges Haus soll darauf entstehen, daneben ein Garten. Daneben – das ist die leere Parzelle hinter Klassens Haus, die einst seiner Familie gehörte. Es geht nur um einen Stück Garten. Doch für Peter Klassen ist es mehr. Er will nicht, dass die imaginäre Linie, die heute das Grundstück teilt, wieder Gestalt annimmt. 40 Jahre stand hinter dem Haus, in dem seine Großeltern, seine Mutter und seine Großtante wohnten, eine Mauer. Wenn der 63-Jährige in zwei Jahren sein Bistro und Eiscafé, das er über alle Höhen und Tiefen der Zeit brachte, an seinen Sohn weitergibt, will er in das Haus am Wolfswerder zurückziehen. Seinen „Alterssitz“ nennt er es, wo er den nötigen Abstand von seinem jetzigen Geschäft in der Karl-Marx-Straße finden will. „Dabei will ich nicht wieder auf einen Zaun sehen“, sagt er. Das Leben an der Mauer ist immer mit Schikanen verbunden gewesen. Familienangehörige brauchten einen Passagierschein, im Keller durften keine Kohlen gelagert werden, weil man dahinter ja unbemerkt einen Tunnel hätte graben können. Als Klassens Mutter 1980 starb, sollte über die gesetzliche Wohnraumlenkung ein Grenzoffizier mit seiner Familie in das Haus einziehen. Klassen wehrte sich dagegen. Er selbst lebte in der Karl-Marx-Straße neben seinem Geschäft und ließ eine seiner Angestellten in das Haus seiner Eltern ziehen. 40 Jahre hätten er und seine Frau sich als private Geschäftsleute durchgekämpft, so dass er zuversichtlich ist: „Das schaffen wir auch.“ Er hat Zeit und Geld investiert, um einen Stadtplaner aufzeichnen zu lassen, wie die JCC am Wolfswerder ein Haus bauen kann, ohne dass sich Klassen an eine Zeit erinnert fühlt, die er für überwunden glaubt. Bauzeichnungen, Anwaltsbriefe, Korrespondenzen mit Behörden füllen inzwischen einen blauen Aktenordner, bei dessen Lektüre „sich meine Nachfahren einmal kaputt lachen werden, was ich für einen Aufwand betrieben habe“, meint Klassen. Am vergangenen Donnerstag sollten die Gemeindevertreter jenen Bebauungsplan beschließen, der Klassens Grundstück auf alle Ewigkeit teilen würde. Er ist durch sämtliche Fraktionen gelaufen, hat „alle konsultiert“ und erklärt, dass man zu seinen Lasten ein kleines Stück öffentliches Grünland schaffen würde. 40 Jahre habe er dem Kleinmachnower Gemeinwohl gedient: Bei jedem Fest, zu jeder Kinderfeier habe er Eis spendiert, immer geackert wie ein Verrückter. Klassen will nicht verlangen, etwas zurückzubekommen. Aber er hofft es. In der Einwohnerfragestunde am vergangenen Donnerstag ist Peter Klassen aufgestanden und hat darum gebeten, dass die Kleinmachnower Gemeindevertreter es noch einmal überdenken sollten, falls sie vorhätten, den jetzigen Bauplänen zuzustimmen. Die Gemeindevertreter haben vorerst nichts beschlossen. „In dieser Komplexität ist uns die Sache im Bauauschuss nicht bewusst gewesen“, sah SPD-Fraktionschef Bernd Bültermann „ausreichend Grund, noch einmal zu beraten.“ „Neue Aspekte, die mit den städtebaulichen Zielen abzuwägen sind“, erkannte Ludwig Burkardt für die CDU-Fraktion. Und für den UBK-Abgeordneten Herbert Franke, der den Bauausschuss leitet, habe Klassen „nachhaltig seine Bemühungen dokumentiert, wieder in den Besitz des Familiengrundstücks kommen zu wollen.“ Klassen würde das Gartenland zurückkaufen, wenn der Bebauungsplan geändert, die Parzelle nicht benötigt und die JCC es ihm anbieten würde. „Wenn ich den Garten nicht kriege, verkaufe ich auch das Haus.“ Das Ende der wechselvollen Geschichte am Wolfswerder ist noch nicht geschrieben.

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