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KulTOUR: Gott, die Welt und Tolstoi

Comédie Soleil in Werder mit neuer Inszenierung „Vom König, der Gott sehen wollte“

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Werder (Havel) - „Heute Tolstoi“ steht im Schaufenster der „Comédie Soleil“ zu Werder, ohne allen Schmuck und Farbe. Tolstoi? Es hat sich herumgesprochen: Wo hierzulande der große alte Russe genannt wird, da ist der Potsdamer Autor und Religionslehrer Klaus Hugler nicht weit. Seine jahrzehntelange Erziehungsarbeit beruft sich ostentativ auf das Werk des russischen Grafen-Christen. Und tatsächlich stützt sich Michael Klemms neue Inszenierung „Vom König, der Gott sehen wollte“ sowohl auf Tolstoi als auch auf Hugler, genauer auf dessen Büchlein „Der fremde Gast“, darin neben vielen Gedanken auch einige der szenischen Kurz- und Lehrgeschichten abgedruckt sind, die man in der „Comédie“ zwischen zwei windschiefen Bauernkaten dargeboten bekam.

Der Besuch am Tag eins nach der Premiere war so üppig nicht, was schade ist, denn für Quer- und andere Köpfe bietet das fünfköpfige Ensemble Futter genug, um über das Verhältnis von Gott und Welt, Mensch und Staat nachzudenken. Nicht etwa historisch, sondern geradezu brandaktuell: Wenn unter der Rubrik „Erziehung“ ein Bub (David Segen) nicht lernen will, was die Schule ihn zu lernen zwingt, ein Mädchen (Nadja Winter) mit dem Steuersystem gleich den gesamten Staat in die Grube schickt und in einer anderen Szene Armut und Reichtum mit dem wirklichen Anteil an Arbeit in Beziehung gesetzt werden, dann befindet man sich schon mittendrin im parteienstreitenden Wahlkampfjahr 2011.

Der Untertitel „Szenen aus dem russischen Leben nach Lew Tolstoi“ freilich ist nicht sehr glücklich gewählt, ja irreführend. Der Dichter hat seine vielen Geschichten ja weniger aus dem Leben als aus seinen pädagogischen An- und Absichten extrahiert. Etwa vom König, der wenigstens an seinem Lebensende noch herausfinden will, welche Tat zur rechten Zeit die beste sei. Obwohl King Roman Gegenbauer nicht recht wusste, was er da beim Eremiten zu spielen hatte, lief die Sache zum pädagogischen Finale.

Der letzten Geschichte, „Wie der Bauer die Gänse teilte“, fehlt der didaktische Zeigefinger. Warum aber erzählen sich die drei Gesellen diese nicht so gut pointierte Lachnummer eigentlich? Auch in anderen Szenen hätte man sich ein bisschen mehr Hintergrund gewünscht. Michaela Wrona spielte meist gestrenge Mütter, Regisseur Michael Klemm übernahm in fast jeder der sieben Szenen auch eine Rolle als Spieler. Musikalisch orientierte sich die etwas mehr als sechzigminütige Szenenfolge an russischen und zigeunerhaften Weisen.

Die Inszenierung selbst ist betont schlicht, ja fast märchenhaft gehalten. Teils werden Tolstois Gleichnisse und Geschichten vorgelesen, dann aber szenisch weitergeführt, teils spielt man sie „richtig“. Viel Zutun vom Ensemble war nicht dabei. Dafür wunderte man sich schon, warum in der Titelgeschichte der Part um Jesus Christus und dessen Thron weggelassen wurde. Einmal versteht man so diese Szene nicht mehr, andererseits wollte man doch „Heute Tolstoi“ geben, oder war hier das „nach“ gemeint?

Einer, der sowohl der Welt als auch seiner Amtskirche Ade sagt, der empfiehlt, mit dem Gebot „Du sollst nicht töten“ den Wehrdienst zu verweigern und dem Staat keine Steuern mehr zu zahlen, ist im Wortsinn kreuzgefährlich. Darüber kann und wird man diskutieren, auch dank dieser leicht verträumten Inszenierung. Mit einem „halben“ Tolstoi, einem ohne Jesus Christus, freilich ist dabei niemandem gedient. Gerold Paul

weitere Vorführungen bis 30.9. Freitag und Samstag 19.30 Uhr, Sonntag 17 Uhr, Eisenbahnstraße 210.

Gerold Paul

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