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Potsdam-Mittelmark: Handwerk statt Hörsaal
Handwerksbetriebe werben um Studienabbrecher
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Schwielowsee - Dem Handwerk fehlt der Nachwuchs. Da liegt es nahe, potenzielle Azubis noch stärker mit Imagekampagnen zu umwerben. Auch auf dem 18. Gesellentag am Samstag im Märkischen Gildehaus in Caputh ging es um Strategien zur Nachwuchsgewinnung.
In den Fokus rücken nun zunehmend Studienabbrecher, denen man mit verkürzten Ausbildungszeiten das Handwerk schmackhaft machen will. Laut dem aktuellen Berufsbildungsbericht beenden 28 Prozent der Studenten ihr Bachelor-Studium nicht. Besonders gefragt sind bei Handwerksbetrieben Informatikstudenten, aber auch Abbrecher aus dem Bereich Maschinenbau. Im Handwerk sind Jobs auf mittlerer Führungsebene auch ohne Studium möglich.
Zwar klang das Motto der Tagung „Handwerk zwischen Zunft und Zukunft“ selbstbewusst, doch Unbehagen war in den Diskussionen auf dem Gesellentag nicht zu überhören. Die Zahlen sind zwar nicht neu, dennoch erschreckend: Immer weniger Jugendliche entscheiden sich für eine Ausbildung im Handwerk. Derzeit gibt es im Potsdamer Handwerksbezirk noch 472 freie Lehrstellen in der Online-Jobbörse für das Ausbildungsjahr 2014/15. Studienabbrecher, so die Hoffnung, könnten die Lücke füllen. Zudem sei der Meistertitel mittlerweile dem Bachelorabschluss gleichgestellt, sagte Ralph Bühring, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Potsdam.
Und handwerkliche Berufe haben auch ihre Vorteile: Sie sind lebensnah und kreativ, betonten die Redner auf dem Gesellentag. Dem würden aber niedrige Löhne mancher Branchen gegenüberstehen. Schon die Ausbildungsvergütung liegt meist deutlich unter der von Industriebetrieben. So erhalten Azubis im 1.Lehrjahr bei Daimler in Ludwigsfelde 847 Euro, in KfZ-Meisterbetrieben bekommen sie bis zu 300 Euro weniger.
Da diese tarifliche Ausbildungsvergütung im Handwerk meist noch um 20 Prozent gekürzt werde, richtete sich die Kritik in der Diskussion vor allem an die Potsdamer Handwerkskammer. Die Kammer würde zu dieser Praktik auf ihrer Internetseite geradezu ermuntern, so der Vorwurf. Denn dort stehe, dass 80 Prozent des Tariflohnes für Azubis ausreichen würden – und das sei durch ein Urteil auch rechtskräftig gestützt.
Damit könne man Jugendliche nicht fürs Handwerk begeistern, so der Tenor in der Diskussion. Jörn Homuth von der Cottbuser IG Metall drang darauf, auch die Ausbildungsbedingungen bei den „Schwarzen Schafen“, wie er manche Handwerksbetriebe nennt, besser zu kontrollieren. Beschwerden von Lehrlingen würden dort meist abgebügelt mit Sätzen wie „Sei froh, dass du hier arbeiten darfst“. Unangekündigte Kontrollen könnten helfen, dass die Handwerkskammer ein reales Bild vom Ausbildungsbetrieb erhalte und auch Verbesserungen bewirken, so Homuth.
Dem Bezirksvorsitzenden der IG Metall, Olivier Höbel, bereitet aber noch eine andere Zahl Sorgen: Nur 23 Prozent von 40000 Brandenburger Handwerksbetrieben sind tarifgebunden. Mit durchschnittlich 1379 Euro Lohn pro Monat stünden viele Arbeitnehmer an der Niedriglohnschwelle. Höbel: „Diese Löhne reichen nicht mehr zum Leben“. Mit einem jährlichen Bruttoverdienst von rund 24 000 Euro für KfZ-Mechatroniker ist Brandenburg im Ländervergleich sogar Schlusslicht. Motivation zum Handwerk, das wurde deutlich, braucht nicht nur eine gute Imagekampagne, sondern vorzeigbare Fakten. Kirsten Graulich
Kirsten Graulich
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