KulTOUR: Häuser wie Gesichter
Viel Untertext bei Werkschau von Barbara Raetsch im Kunstgeschoss
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Werder (Havel) - Dunkel ist die Nacht, dunkel auch die Silhouette dieser alten Bruchbude mitten in der Stadt. Nur im Parterre von „Besetzerhaus I“ sieht man Leben, Licht und Farbe. Eine deutliche Botschaft! Keiner hätte den verfallenden Charme der Potsdamer City rund um 1990 trefflicher darzustellen gewusst als Barbara Raetsch.
Anlässlich ihres 75. Geburtstages widmet Werders Stadtgalerie „Kunst-Geschoss“ ihr nun eine opulente Retrospektive. Doch Obacht! Wer sie als Kulturpolitiker oder mit einem Parteibuch in der Tasche besucht, hat weniger davon als ein freier Mann. Die gebürtige Sächsin aus Pirna ist schließlich weder eine Veduten-Malerin, noch pinselführende Orts-Chronistin, noch Klägerin für „unhaltbare Zustände“.
Für sie ist eine Stadt auch ohne Putz und Prunk noch schön. Sie wäre also nicht die Erste, die den Charme des Morbiden zu loben wüsste. Dass sie die scheinbare Vergänglichkeit ganzer Häuserfronten in gedeckten Farben wie Braun, Grau oder Ocker wiedergibt, ist klar. Doch der Unterschied zu anderen „Häusermalern“ ist frappant: So setzt sie ihre „Fassaden“ nicht nach der Proporzlehre ins Bild. Nein, sie füllen mit beinahe unverschämtem Anspruch gleich mal die gesamte Malfläche aus.
Kaum Himmel, kein Hintergrund. Barbara Raetsch treibt ihre Sujets zudem nicht nur bei „Ausgebrannt“ sehr konsequent ins Subjektive. Kein Haus ohne eigenes Gesicht, keine Darstellung ohne „Untertext“ - und der muss ja nicht immer aus dem Wort „Vergänglichkeit“ bestehen.
Sie bringt also das Kunststück fertig, längst totgesagte Fassaden auch ohne Menschen lebendig zu machen. Und dann auf einmal neuere Arbeiten, in denen sich einzelne Bildelemente plötzlich wie im Gegenlicht auflösen. Mehr noch als in den Hausfassaden ist das in jenen Werken zu sehen, die sie draußen gemalt hat. „Landschaftsbilder“, bittet sie, möge man dazu nicht sagen, denn „Landschaften kann ich nicht so gut“. Aber etwas daraus machen, das schon.
In der Tat zeigt die Ausstellung ein paar ungeschickte Versuche, ein solches Vor-Bild als naturnahes Abbild wiederzugeben. Bald aber beginnen die Umrisse zu verschwinden, die Farbintensität nimmt zu, bis nur noch Licht auf der Leinwand ist. Nimmt man dies als „Weg des Lebens“, ist es wohl ein verheißungsvoller Pfad.
„Gutenbergstraße“ wie ein ehernes Monument, das Belvedere auf dem Clausberg wie die Skizze einer antiken Ruine, die Stadtbrauerei mit der Raffinesse der besonderen Perspektive. Die Künstlerin versteht es nicht nur, jedem Bild von innen her Sinn und Gesicht zu geben, sondern auch Kraft für das Außen. Eines dieser „starken“ Bilder hat sie der Stadtgalerie unter dem angemessenen Titel „Denkmal I“ jetzt geschenkt.
Bleiben die ländlichen Gehöfte in spürbarem Kontrast zur Enge der Stadt. Fast monochromer Himmel, fast monochromer Vordergrund, kein Grashalm wächst in solch einer Solitüde. Die menschenfreien Höfe stehen wie „mitten in der Landschaft“ herum, und behaupten trotzdem ihr Dasein. Ist da nicht Licht hinterm Fenster? Hier ist das Materielle ganz spirituell gefasst, klasse.
Was für ein künstlerischer Weg: Vom Abbild zur scheinbaren Abstraktion, von den Erdfarben zum strahlenden Licht – wobei sie, jenseits aller Fassaden, zuerst das Gelb der späten Frühlingsfelder, dann das Sommergrün, und zuletzt das Ziegelrot von Menschenbauten für ihre Palette entdeckte. „Bei mir stehen alle Farben nebeneinander“, sagt sie, „wie die Jahreszeiten!“
Die Ausstellung „Denkmal I“ im Kunst-Geschoss Werder, Schützenhaus, Uferstraße 10, ist bis zum 8. Januar jeweils Donnerstag, Samstag und Sonntag von 13 bis 18 Uhr geöffnet.
Gerold Paul
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