KulTOUR: Held in Hosenträgern
Minutenlanger Applaus: Debüt der Kleinen Bühne Michendorf mit „Bockerer“
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Michendorf - Theater kann ja so vieles: darstellen und erregen, täuschen und blenden, aufbauen und zerstören, Schönes und Hässliches vermitteln, zusammenführen und teilen! Chapeau zuerst an Siegfried Patzer und sein Ensemble, denn von dieser Titanenarbeit, aus einem Hinterschuppen ein klassisches und nagelneues Theater mit Guckkastenbühne, aufsteigendem Zuschauerraum, Café und mehr gemacht zu haben, zeigte sich am Samstagabend ganz Michendorf beeindruckt. Ganz Michendorf staunte auch, wie gut dem Ort ein eigenes Theater zu Gesicht steht, das ahnte mancher vorher gar nicht! Die „Kleine Bühne“ selbst hat nur ein Wort gewechselt: Aus dem Appendix „Wilhelmshorst“ ist schlichtweg „Michendorf“ geworden. Vollbracht!
Nach der erfolgreichen Premiere des Stückes „Der Bockerer“ (1946) von Ulrich Becher und Peter Preses, einer „tragischen Posse in zwölf Bildern“, die sehr wahrscheinlich Brechts „Furcht und Elend“ nachgebildet sind, erhob sich fast der ganze Zuschauerraum, man klatschte minutenlang im Rhythmus. Der Regisseur und sein siebzehnköpfiges Ensemble hatten es in gut zwei Stunden geschafft, Einverständnis herzustellen zwischen Bühne und Publikum, zwischen Einstgeist und Zeitgeist, zwischen Bürgerträgheit und Zivilcourage, wie es das in Teilen ziemlich tendenziöse Stück ja vormacht.
Die Geschichte setzt mit der freiwilligen Angliederung Österreichs an Deutschland 1938 ein. Hart greift die neue NS-Ideologie nach dem Familienleben des Fleischers (Rafael Hilpert) Bockerer: Sohn Hansi (Benno Göschick) wird mit viel Laut-Gebrüll ein strammer SA-Mann, Mutti Binerl (Marlies Hanowski) tritt in „die Partei“ ein, nur der Protagonist wirkt wie ein Fels in der Brandung. Halb Vernunftmensch ad hoc, halb Schwejk-Figur, können ihn weder Gestapo-Verhör noch staatliche Order erschrecken, ein Held mit Hosenträgern eben. Die Autoren zeigen Mit- und Gegenläufer, Gleichgültige und Anschwärzer, den Riss zwischen Vater und Sohn, dessen Tod im Felde. Anfang und Ende des Stückes signalisieren (unwidersprochen) Kleinbürgers Sehnsucht: In Ruhe und Frieden Tarock spielen, das wäre vollkommenes Glück, ach ja!
Es gab die klassischen Kulissen und Zwischenvorhang, die Verlegung der Handlung in den Vorraum, was zwar Bewegung, aber nicht zwingend ein Zugewinn für die ungefähr sechzig Zuschauer brachte. Historische Kostüme, vor vielen Szenen eine geschichtskongruente Toncollage, nach einer jeden Applaus, viel Atmosphäre, eine Regieleistung, die in der Zuschauer-Seele wirklich tragikomische Balancen erzeugte. Ohne Frage eine kompakte Ensemble-Leistung – und viele Fragen dazu: Warum wurde aus dem bearbeiteten Text mitten in Preußen ein Wiener Dialekt-Stück gemacht, warum darf der selbstgefällige Bockerer zwar durch den Tod des Sohnes gerührt, aber von „den Verhältnissen“ nicht wirklich mal existentiell gefährdet sein? Das war zu kommod.
Auch bei den tragenden Figuren Hatzinger (Wolfgang Gnauck) und dem Juden Rosenblatt (Gert Melzer) wäre mehr Untertext möglich gewesen. Welche Figuren hatten denn innere Kämpfe zu fechten? Dafür finden die Autoren ein erfrischendes Finale: Als der alliierte Hymnen-Salat über Wien rieselt, bekommt Bockerer unverhofft Besuch: Ein Entsprungener aus der Irrenanstalt, ein Hitler-Duplikat, sehr gut von Marcus Heinemann gemacht. Letztlich hatte man es mit einer starken, lebhaften und auch lauten Inszenierung zu tun, mit einem ziemlich didaktischen Stück, welches beim Zuschauer das gewünschte Bild der Vergangenheit zeugt. Tendenz: Zivilcourage hilft gegen Infiltration. Nach der Premiere wurde dann etwas mehr geredet, als vielleicht notwendig war, genügte denn die Vorstellung nicht?
Vorstellungen am 25. und 26. Juni 19.30 und am 27.6. um 17 Uhr, Potsdamer Str. 42
Gerold Paul
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