Potsdam-Mittelmark: „Heute kannst du bis untern Kölner Dom fahren“
Herbert Wierzkalla war sein Leben lang Kraftfahrer. Jetzt hat er Angst, auf der Strecke zu bleiben
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Herbert Wierzkalla war sein Leben lang Kraftfahrer. Jetzt hat er Angst, auf der Strecke zu bleiben Von Peter Könnicke Pitty fährt Mercedes. Zwei sogar. Einen blauen Kombi und einen gelben, der unschwer als Taxi zu erkennen ist. Die Autos sind nagelneu, „mit Computer und Navi“, bemerkt Pitty stolz. Doch nachts, wenn er aufwacht und an die beiden Wagen unten auf dem Hof denkt und es in seinem Kopf rumort, dass alles nur noch über Beziehungen läuft und „dit allet irgendwie korrupt ist“, wenn ihn sein leeres Auftragsbuch hochschrecken lässt, dann läuft es Pitty kalt den Rücken runter. Er weiß nicht, wie er die beiden Daimler noch zwei Jahre lang abbezahlen soll. In den letzten Wochen hat er kaum eine Fahrt gehabt. Und dass es besser wird, wenn am 18. September eine neue Regierung gewählt wird, mag Pitty nicht glauben. Er hofft es. Pitty heißt mit richtigem Namen Herbert Wierzkalla. Aber hier in Belzig, wo die Stadtväter wegen des Thermalbades und der Kurklinik kühn vom „Bad Belzig“ träumen, kennt man nur Pitty. Wenn man mit der Taxe zum Bahnhof wollte oder zum Friseur, nach Schönefeld zum Flughafen oder nach Potsdam zum Arzt, zur Disko ins Nachbardorf oder in die Kneipe, standen die Chancen nicht schlecht, in Pittys Daimler zu landen. Im Taxometer rotierte dann die Kilometeranzeige und das Taxiunternehmen Wierzkalla erwirtschaftete so viel Geld, dass es in den besten Zeiten für drei Autos und eine Angestellte reichte. In vier Jahren riss Pitty eine halbe Million Kilometer runter. „Ick bin jut zurecht jekommen“, sagt er. Dann beschloss Rot-grün in Berlin die Gesundheitsreform und Pitty geriet auf die Standspur. Krankenkassen begannen, nur noch in Ausnahmefällen Fahrten zum Arzt zu bezahlen und Taxifahrer verloren ihre wichtigste Einnahmequelle. Pitty musste ein Auto verkaufen und seiner Angestellten erklären, dass es eigentlich nur noch für ein Taxi reicht. Seit sieben Jahren ist sie bei ihm. „Wirklich entlassen können wir sie nicht. So hart können wir nicht sein“, ist sich Pitty mit seiner Frau einig. „Ne Große“, wie er Fahrten nach Halle, Magdeburg oder Berlin nennt, hat er kaum noch. „Ick fahr viel leer umher, zum Bahnhof, in der Hoffnung, dass da einer steht.“ Manchmal steigt nicht mal jemand aus dem Zug. Ein paar Stammkunden hat er noch. Neulich bat ein Fahrgast, ihn ein paar Häuser vor der Kneipe abzusetzen, weil es ihm irgendwie unangenehm war, sich mit der Taxe fahren zu lassen. Obwohl der Hagelberg bei Belzig 201 Meter hoch ist und den Fläming zum Mittelgebirge macht, ist man hier auf dem „flachen Land“. Wer wegging, um zu studieren oder einen Beruf zu lernen, ist meist nicht wiedergekommen. ABM ist hier Massenware, die Fabrikruine der einstigen Brauerei im Nachbardorf ein Spiegelbild der letzten Jahre. Das Lied „Kling Klang“ der Band Keimzeit, die sich vor 25 Jahren von Belzig aus aufmachte, um auf Konzerten die Dinge dieser Welt zu deuten, ist so etwas wie die Heimathymne dieser Gegend. „Guten Tag, zweimal bis nach Feuerland “, heißt es sehnsuchtsvoll in dem Lied. Pitty würde es reichen, nach Potsdam zu fahren. Krankenfahrten in die Landeshauptstadt bescherten ihm jahrelang ein sicheres Einkommen. Die Kassen übernahmen die Fahrtkosten für Patienten, die zur Dialyse oder zur Therapie die 55 Kilometer mit dem Taxi fahren mussten. „Da hab ick richtig gut verdient“, sagt Pitty. Die Gesundheitsreform machte Krankenfahrten für Taxifirmen zu Goldstaub. „Die kriegen nur noch die großen Unternehmen“, beklagt er sich. Erschrocken und ohnmächtig registriert er, wie Taxen mit fremden Kennzeichen durch sein Revier kreuzen. Verholen schielt er zur örtlichen Konkurrenz, die umtriebig um Kunden buhlt. Auch Pitty ist nach Potsdam gefahren und hat Ärzte gefragt, ob sie nicht Strahlenpatienten hätten, die regelmäßig gefahren werden müssen. Es klingt eigenartig, dass todkranke Menschen Pittys Existenz als Taxifahrer sichern sollen. Herbert Wierzkalla müsste nicht mehr arbeiten. Er ist jetzt 67, die Rente wird pünktlich bezahlt. „Eigentlich müsste man mal sagen: Ick hab die Schnauze voll. Aber komischerweise macht die Fahrerei immer noch Spaß. Du kannst ja heute mit dem Navigator bis in die Tiefgarage unterm Kölner Dom fahren.“ Wenn Pitty von Autowerkstätten, Stoßdämpfern und Lichtmaschinen erzählt, riecht es am Küchentisch förmlich nach Öl und Benzin. Als er von seinem Unfall auf der Autobahn erzählt, als plötzlich der Motor fest war und die Lenkung aussetzte, ist man voll dabei, wie Pitty versucht gegenzusteuern und der Daimler, exakt einen Tag nachdem er komplett abbezahlt ist, als Totalschaden an der Leitplanke klebt. Und später, als sich Pitty überreden lässt, sich für ein Foto neben sein Taxi zu stellen und er reflexartig die Hand auf die Autotür legt, wird einem klar, dass er nie den Motor abstellen wird. Mit 17 hat er Schlosser gelernt. Er hat Lkws zerlegt, rostige Teile geputzt und neue Farbe aufgetragen und alles wieder zusammengeschraubt. Weil er schon immer ein Hänfling war und in der Werkstatt schwer zu schleppen hatte, wurde er Traktorfahrer. 1960 wurde er bei der Ernte als bester Traktorist ausgezeichnet, wofür er ein gelbes Trikot bekam - „wie bei der Friedensfahrt“. Zwei Dinge aus dieser Zeit sind noch immer gegenwärtig: Den Leberschaden holte er sich, als er bei der Unkrautbekämpfung auf Rapsfeldern Gift sprühen musste. Und einmal, als er mit seinem Traktor unterwegs war, kam ihm ein Motorroller „Pitty“ entgegen. Nach dieser Begegnung heftete sich Herbert Wierzkalla „Pitty“ als Namensschild an seinen Trecker. Später wechselte Pitty vom Traktor in einen roten Moskwitsch, in dem er die Sekretäre der FDJ-Kreisleitung chauffierte. „Dit darf man heute ja nicht mehr erzählen, obwohl mich nie interessiert hat, wat die uff ihren Versammlungen beredet haben. Ick hab dann immer dit Auto gewaschen.“ Nach der Wende erfüllte sich Pitty seinen Traum: „Ick wollte privat sein.“ Noch vor der Währungsunion ließ er sich bei einem Gebrauchtwagenhändler ein paar Dörfer hinter Belzig einen 123er Daimler reservieren, „was der beste Mercedes von allen ist“ und den er einige Wochen später kaufte, als die Ost- in D-Mark umgetauscht war. Im Frühjahr 1990 meldete er sein eigenes Unternehmen an, obwohl man ihm empfahl, sich doch bei einem anderen Taxidienst anstellen zu lassen. Pitty wehrte sich: „Ick will mich nicht unterordnen.“ Manchmal, wenn er darauf wartet, dass das Telefon klingelt und jemand eine Taxe bestellt oder wenn eine Krankenfahrt mal wieder an die Konkurrenz gegangen ist, dann glaubt er, „dass die mir das immer noch anhängen, weil ick mich damals nich hab anstellen lassen.“ Seine Frau meint dann ungläubig, das sei viel zu lange her. Doch Pitty wiegt schwer den Kopf: „Ick weeß nich.“ Er wird das Gefühl nicht los, benachteiligt zu werden. Wenn in Potsdam Platzeck davon spreche, dass man die Stärken stärken müsse, vermag Pitty zu erkennen, dass „dit politisch so gewollt ist, wenn die Kleinen auf der Strecke bleiben“. Wenn Potsdamer Ärzte ihren Patienten für Krankenfahrten „ganz spezielle“ Taxifahrer empfehlen, „is dit nicht sauber“. Und wenn sich die Krankenkassen Milliardengewinne in die Tasche stecken, „ist dit zur Hälfte dit Geld, wat uns Taxifahrern fehlt.“ Und so kommt Pitty zu dem Schluss, „dass dit alles irgendwie wie Mafia ist, was man aber auch nicht so laut sagen darf.“ Herbert Wierzkalla unterhält sich gerne „sauber und ehrlich“. Das ist ohnehin seine Überzeugung und sein Anspruch: „Wenn Politiker ehrlich und sauber bleiben, läuft alles. Nicht nur Taxen.“
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