Von Kirsten Graulich: Hilfe und Unterschlupf für verfolgte Juden
Bewegende Schicksale und mühsame Recherchen zum Teltower Stolpersteinprojekt
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Teltow – Auch in Teltow gab es Leute, die sich von den braunen Machthabern nicht „auf Linie“ bringen lassen wollten als es darum ging „Juden aus der Volksgemeinschaft auszuschalten“. Wie groß die Bandbreite des Verhaltens in dieser dunklen Zeit war, haben Mitglieder des Teltower Stolperstein-Projektes jetzt recherchiert. Manchmal waren es nur Gesten wie das weitere Grüßen von Juden auf offener Straße, manchmal auch eine Verweigerungshaltung, die sich preußischer Ordnung verpflichtet fühlte.
So ignorierte der Hauseigentümer der Berliner Straße 10, Hermann Schulze, die Empfehlung, seinem Mieter Alexander Baum zu kündigen. Der Berliner Schuhhändler Baum hatte in der Teltower Altstadt seit Jahren ein Geschäft und Vermieter Schulze sah gar nicht ein, „einen Mieter rauszuschmeißen, der stets pünktlich seine Miete zahlt“. Erst als in der sogenannten „Reichskristallnacht“ Steine gegen die Schaufenster flogen und Waren geplündert wurden, beschloss Baum selbst, das Mietverhältnis zu kündigen. Der Schuhhändler hat überlebt, wie wenige andere auch, deren Teltower Lebensspuren Mitglieder des Stolperstein-Projektes jetzt nachforschen.
Die Recherchen sind jedoch mühselig, da zeitgenössische Quellen kaum zur Verfügung stehen, denn die Untergetauchten mussten jeglichen Hinweis auf ihre Identität vermeiden. Oft sind es daher nur Erinnerungen wie die der damals zehnjährigen Ilse, die darüber Aufschluss geben, dass eine kleine Minderheit bereit war, den Verfolgten zu helfen. Das Mädchen bekam bei einem Gespräch seiner Mutter mit einer Diakonisse mit, dass Pfarrer Alfred Fritz im Evangelischen Diakonissenhaus zwei Jüdinnen versteckte hatte, von denen zumindest eine als Erzieherin tätig gewesen sein musste. Die Zehnjährige hielt sich an das Versprechen, das sie ihrer Mutter anschließend gab: nichts zu verraten.
Nur einige hundert Meter weiter, im Heinersdorfer Weg fand ein Berliner Lehrer für ein halbes Jahr Zuflucht bei den Fischers. Die Adresse hatte ihm Meta Schmidt, eine Bekannte aus Tempelhof vermittelt. Bei dem Sozialdemokraten Paul Fischer und seiner Frau Lieschen, einem älteren Ehepaar, stellte er sich im November 1942 als Lothar Kern vor. Seit einem Jahr war er vor der Deportation untergetaucht, die Gestapo führte ihn bereits auf einer schwarzen Liste, weshalb Kern fortwährend sein Quartier wechselte. Morgens fuhr er meist mit dem Bus in die Stadt, um sich Geld als Privatlehrer zu verdienen oder auf dem Schwarzmarkt ein paar Lebensmittel zu ergattern. Als ihn im Frühjahr eine ehemalige Schülerin zufällig in der Gartensiedlung am Heinersdorfer Weg erkennt, schauen die Nachbarn nicht mehr so misstrauisch, denn von nun an ist er der „Lehrer Lothar“ und kein Spion, wie einige zuvor vermuteten. Aber Kern wurde danach auch klar, dass es wieder Zeit war das Quartier zu wechseln. Der Schriftsteller Michael Horbach hat 1964 die Fluchtgeschichte Lothar Kerns in seinem Buch „Wenige – Zeugnisse der Menschlichkeit 1933-1945“ dokumentiert. Für die damals noch weithin unbekannten Helfer sind inzwischen aufgrund der Reportage in der „Allee der Gerechten“ in Jerusalem Bäume gepflanzt worden. Einer auch für das Teltower Ehepaar Fischer.
Anders als es sich Goebbels vorgestellt hatte, kamen die Helfer aus allen sozialen Schichten und gehörten unterschiedlichen Konfessionen und politischen Richtungen an. Das zeigt auch die Geschichte der 17-jährigen Margot Beck, die zeitweilig in Teltow bei ihren „arischen“ Verwandten untertauchen konnte. Martha und Alfred Ludwig, ein Militäringenieur, hatten sich 1937/38 in der Seehofer Otto-Braune-Straße ein Haus gebaut. Auch Margots Bruder, Gerhard, boten sie an, sich in ihrem Haus zu verstecken. Die Geschwister Margot und Gerhard, waren in einer Berliner christlich-jüdischen Familie aufgewachsen, bekamen aber schon kurz nach Hitlers Machtantritt den wachsenden Antisemitismus am eigenen Leib zu spüren. Gerhard, der sich später Gad nannte, schloss sich 1941 der „Hechalez“ an, einer Gruppe, die jüdischen Widerstand und das Leben im Untergrund organisierte. Gad überlebte als einer von etwa 5000 Untergetauchten. In seinem Buch Und „Gad ging zu David“ beschreibt er das Familienleben und seine Jahre im Untergrund.
Die Teltower Stolperstein-Initiative hat bereits rund ein Dutzend Namen recherchiert, die von den Nazis verfolgt und ermordet wurden. Ebenso wie in anderen Orten sollen auch hier für die Opfer Stolpersteine verlegt werden. Die Idee zu dem Projekt hatte 1993 der Kölner Künstler Gunter Demnig.
Kirsten Graulich
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