KulTOUR: Himmel mit Engeln
Karoline Hugler gab mit einem poetischen Zweipersonenstück ihren Einstand in der Comédie Soleil
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Werder (Havel) - „Willst du Arbeit haben? Dann gehe bis zur letzten Laterne der Stadt. Dort wartet ein Engel auf dich, der wird sie dir geben, im Himmel!“ Wie naiv oder verzweifelt muss einer sein, wenn er das Wertvollste seines Besitzes einem Anonymus im dunklen Mantel gibt, allein für diesen Rat in einer Straßenbahn, ganz ohne jede Gewähr! Der dunkle Typ hat mit dieser Masche offensichtlich Erfolg, denn nicht nur die Putzfrau Assunta eilt zur besagten Stelle, vor ihr auch der gleichfalls arbeitslose Rocco. So beginnt die seltsame Geschichte „Kleine Engel“ des italienischen Autors und Theatermachers Marco Baliani, geschrieben wohl in einer Zeit, in der man den Engeln mehr vertraute als ihrem Herrn, der Gottheit.
Mit diesem recht poetischen Zweipersonenstück geben auch zwei Neue in der Werderaner Comédie Soleil ihren Einstand, Karoline Hugler in den Fächern Regie und Schauspiel, Frank Dukowski als Darsteller allein. Freilich, so „angelophil“ sich dieser Text auch geben mag, er ist irdischer, als man vermutet, denn es geht um Ängste, Sorgen, Wünsche und Träume sehr menschlicher Art. Selbst das hoffnungsvolle Wort „Arbeit“ steht ja nicht für sich, ist vielmehr ein Mittel zum Zweck. Man will seine Gaben sinnvoll einsetzen, man will gebraucht und vielleicht sogar geliebt werden, notfalls auch von Engeln.
Die Grundkonstellation ist überschaubar: Assunta und Rocco warten gemeinsam auf den angekündigten Engel, der, man hat es schnell begriffen, nie zu ihnen kommt, weil der dunkle Mantel lediglich ein Gauner und Abzocker war. Daraus ergibt sich ein vielgestaltiges Spiel zwischen Realität und träumendem Wünschen: dass jener Engel doch noch komme, sie in den Himmel zu bringen, zur Arbeit.
Assunta vertritt die „spinnerte“ Seite, sie glaubt an die wohltuende Existenz der höheren Wesen, scheinbar wenigstens. Rocco hingegen streitet den Himmel mit besagten Flügelträgern ab, zunächst wenigstens. Daraus muss Dramatik entstehen, Widerspruch, Kampf, so wollen es die Bühnengesetze. Wer überwindet wen?
Karoline Hugler hat eine leise, vielleicht etwas zu leise Inszenierung auf die völlig leere Off-Bühne (Jens Uwe Behrend) gebracht, wo der Besucher mit Original-Theaternebel begrüßt wird; zwei riesige Straßen-Leuchten darüber. Inszeniertes Warten wie bei Beckett, Auffüllen von Zeit durch Spiele und Spielchen, die scheinbar zur Vorbereitung auf den Abflug zum Himmel dienen. Aber wer glaubt hier eigentlich wem, ist Assunta wirklich so lieb und naiv, wie sie tut, und Rocco so nett und tapsig, wie er immer schon war? Nie war Untertext so wichtig wie hier. Die knapp neunzigminütige Inszenierung liebäugelt mit Poesien und mit handzarter Liebe, ein bisschen wenigstens, doch was ist der Kern? Ihr Stil ist mal Clownerie, mal Psycho, die Bewegung mehr horizontal als dass sie den Tiefgang suchte. Weil die Regie mehr an die Engel im Himmel als an existenzielle Erd-Konflikte denkt, erschöpfen sich die szenischen Einfälle schnell.
Hunger wird lediglich behauptet, Konkurrenz findet nur am Anfang statt, totale Versöhnung am Ende, als würde der Abflug bevorstehen. Alles charmant, lieb, freundlich. Kaum der Gedanke, dass die beiden gelinkt worden sind, es bleibt kein dramatischer Rest. Welche Konflikte haben die Figuren eigentlich innen auszutragen? Oft ist ein Gang in die Tiefe auch ein Gang ganz nach oben. Sehenswert ist diese neue Handschrift in Werder natürlich trotz dieser Marginalien.
Gerold Paul
Gerold Paul
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