Potsdam-Mittelmark: „Ich hoffe, wir finden wieder zum Konsens“
Bürgermeisterin Cornelia Jung zu 100 Tagen im Amt, ihrem Demokratieverständnis und der Ortsumgehung
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Bürgermeisterin Cornelia Jung zu 100 Tagen im Amt, ihrem Demokratieverständnis und der Ortsumgehung In dieser Woche gab es in der Gemeindevertretung Michendorf eine Sondersitzung zur Ortsumgehung. Die Grünen und die UWG blitzten mit einem Antrag ab, den bereits laufenden Bau zu stoppen und statt der Ost- die Westvariante nochmal zu prüfen. Es gab Diskussionen, welchen Sinn die Sondersitzung macht, da zur Ortsumgehung alle Messen gesungen scheinen. Halten Sie das Aufleben der Diskussion für notwendig? Der Beschluss war schon wichtig. Die Mehrheitsverhältnisse in dieser Frage liegen jetzt klar auf dem Tisch. Und ich denke, es ist für die Gemeindevertreter selbst und für die Bürger gut zu wissen, woran sie sind. Sie selbst hatten im Bürgermeisterwahlkampf von zwei Seelen in Ihrer Brust gesprochen: Einerseits haben Sie Ihr Büro direkt an der B2 und es ist so laut, dass wir gerade alle Fenster schließen mussten. Andererseits wohnen Sie im „Widerstandsnest“ Langerwisch. Nun haben viele bei der Abstimmung mit Ihrer Enthaltung gerechnet, es gab aber keine Enthaltung. Warum nicht? Ich habe mich deshalb nicht enthalten, weil ein klares Votum notwendig war. Der Beschlussantrag hat mir das auch ermöglicht. Ich habe aber immer wieder betont, dass ich Bürgermeisterin von 10500 Einwohnern bin und mich deshalb nicht absolut auf eine Seite stellen kann. Dabei ist es auch nach dieser Abstimmung geblieben, Verständnis gibt es meinerseits für beide Seiten. Wie haben sie votiert? Das war eine geheime Abstimmung, keine Chance. Dreht man die Sache weiter, steht die Frage, ob die alten Klagen aus Langerwisch und Wilhelmshorst jetzt noch Sinn machen? Sie sagen selbst, die Mehrheiten sind geklärt. Zunächst brauchen wir keinen gesonderten Beschluss, um die Klage weiter zu führen, wir bräuchten einen, wenn sie zurück genommen werden soll. Soweit herrscht juristische Klarheit. Ich bin aber der Meinung, der Rechtsstreit sollte möglichst kurzfristig zu Ende geführt werden. Wir haben Ende März, in sieben Wochen ist der Verhandlungstermin beim Bundesverwaltungsgericht Leipzig, mit dem wir auf klare rechtliche Verhältnisse hoffen. Wir sollten diese Chance nutzen, das ist im Sinne der Gegner wie Befürworter der Ortsumgehung. Meinen Sie, dass das Meinungsbild zur Ortsumgehung im Gemeindeparlament Auswirkungen auf andere Beschlüsse haben könnte? Nächsten Montag steht ja der Haushalt 2004 und der Investitionsplan auf der Tagesordnung, die Hälfte der Investitionen 2004 sollen nach Michendorf fließen, ein Viertel nach Wilhelmshorst. Ich hoffe, wir finden schnell wieder zum Konsens. Man muss bei den Zahlen ja auch sehen, was in Michendorf an Steuern erwirtschaftet wird. Es gibt zwar mit dem Ausbau des Gemeindezentrums Apfelbaum eine sehr große Investition, die wird aber auch gut gefördert. Wilhelmshorst ist einer der beiden Ortsteile, die schuldenfrei in die Großgemeinde gekommen sind und nicht unerheblich zur Rücklage beigetragen haben. Auch wenn ich nicht von einer Michendorf- oder Wilhelmshorst-Lastigkeit sprechen würde, kommen dennoch manche Ortsteile im Haushalt etwas schlecht weg. Was in diesem Jahr an Verteilung passiert, muss deshalb in den nächsten Haushaltsdiskussionen seinen Niederschlag finden. Abgerechnet wird am Ende der Legislaturperiode. Die Klage gegen die Gemeindereform ist neben dem Problem der Ortsumgehung eines der wichtigsten Themen der Kommunalpolitiker in der Region. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass die im Herbst erzwungene Gemeindefusion durch das Landesverfassungsgericht wieder gekippt wird? Wäre es vielleicht besser, die Klage zurück zu ziehen und sich auf die Zusammenarbeit zu konzentrieren? Der Ortsbürgermeister von Fresdorf hat kürzlich nachgefragt, ob es sinnvoll ist, die Klage zurück zu ziehen. Aber wir haben einen pauschalierten Vertrag mit der Anwältin, es entstehen keine zusätzlichen Kosten. Deshalb herrscht in den Ortsbeiräten die Überzeugung vor, die Klage durchzuziehen. Auch wenn die Chancen auf einen Sieg gering sind. Ich habe in der letzten Ortsbürgermeisterberatung über das Urteil des Landesverfassungsgerichtes zur Gemeinde Wachow informiert, die nach Nauen eingemeindet wird. Das Verfassungsgericht hat zwar eingeräumt, dass die Eingemeindung rechtswidrig war, weil die Anhörung falsch gelaufen ist. Trotzdem wird Wachow eingemeindet, das Land muss die Anhörung nur wiederholen. Selbst wenn also die früheren Gemeinden des Amtes Michendorf die Klage gewinnen sollten, gehe ich nicht mehr davon aus, dass es ein Zurück in die alte Struktur gibt. Wenn es Fehler im Gesetzgebungsverfahren gibt, wird das Land nachbessern dürfen. Insoweit ist es wichtig, dass wir uns den Tatsachen stellen und alles daran setzen, das Wir-Gefühl zu entwickeln. Sie sind heute 100 Tage im Amt. Sie waren Amtsdirektorin, jetzt sind Sie Bürgermeisterin. Was hat sich geändert? Man hat mich als Amtsdirektorin mehr als Leiterin der Verwaltung gesehen, das bin ich auch heute noch. Meine Mitgliedschaft in der Gemeindevertretung ist aber ein gravierender Unterschied. Ein Mitbestimmungsrecht in Form der Abstimmung hatte ich früher nicht. Das politische Mandat einer Bürgermeisterin wird durch die Gemeindevertretung und die Bürgerschaft auch darüber hinaus sehr hoch bewertet. Aber es fällt auf, dass Sie in vielen Debatten zurückhalten. Selbst als es um die von der CDU vorgeschlagene „Arbeitsgruppe Verwaltungsreform“ ging, mussten Sie von den Grünen erst gebeten werden, Ihre Meinung zu sagen. Ist das eine bewusste Entscheidung, dass Sie nicht mit Ihren Positionen in den Vordergrund rücken wollen? Das möchte ich sicherlich nicht, wobei meine Position zu der Arbeitsgruppe von Anfang an klar war. Ich wurde im Vorfeld von der CDU dazu befragt. Ansonsten bringe ich mich schon in die Debatten ein und werde meine Meinung sagen. Dass ich um bestimmte Dinge kämpfe, um das Verwaltungshandeln zu sichern, hat die Diskussion zur Hebesteuersatzung gezeigt. Aber ich bin eine von 23 Stimmen. So sehe ich mich auch. Laufen vielleicht auch viele Diskussionen im Hintergrund? Es ist wohl allen klar, die im kommunalpolitischen Raum tätig sind, dass man im Hintergrund Vieles besser klären kann. In unseren Feierabend-Bierrunden nach Sitzungsschluss kommen wir schneller zu Ergebnissen als über den offiziellen Weg. In großen Gremien drohen Dinge, zerredet zu werden. Nicht jede Diskussion muss in die Gemeindevertretung getragen werden. Das sehe ich auch als meinen Auftrag. Die Michendorfer Gemeindevertretung ist recht kleinteilig. Es müssen sich mindestens drei der sechs Fraktionen der Gemeindevertretung zusammen tun, damit eine Entscheidung zustande kommt. Ist das ein Vorteil oder ein Nachteil für Ihre Arbeit? Für Bürgermeister, die Mitglied in einer starken Partei sind und eine starke Partei im Rücken haben, ist es sicher einfacher, bestimmte und auch unpopuläre Beschlüsse durchzubekommen. Aber ich habe da ein anderes Demokratieverständnis. Die Konstellation in Michendorf ist spannend, aber auch zeitaufwändig. Sie zwingt uns, miteinander zu reden. Mir ist es aber lieber, wenn Entscheidungen auf breite Schultern verteilt sind. Viele bereits gefällte Beschlüsse wurden ja auch von einer breiten Mehrheit getragen. Und ich denke, wir werden diesen Ansatz einer sachbezogenen, konstruktiven Zusammenarbeit in den nächsten Jahre trotz schwieriger Ausgangslage verfestigen können. Das Gespräch führte Henry Klix
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