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KulTOUR: „Ich untersuche immer etwas“

Marcel Beyer las im Huchel-Haus neue Gedichte und Prosa

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Michendorf · Wilhelmshorst - Der Mensch wandelt allein durch die Welt, damit er sich selber erkenne. Einer braucht dafür kurze Wege, der andere längere. Wie kurz der lange Weg des heute 40-jährigen Autors Marcel Beyer ist, weiß keiner zu sagen. Er hat Romane wie „Flughunde“ und „Spione“ vorgelegt, Gedichte und Essays, man beehrte sein Oeuvre längst auch mit Preisen bedeutender Namen: Bobrowski, Böll, Johnson. Trotzdem wandert Beyer weiter. Geht nun der übliche Weg von Intelligenz Richtung West, so strebt er freilich entgegen. Seit seiner „Ossifizierung“ in Dresden (ab 1996) braucht er die Landschaft „östlich der Elbe“, und meint damit den kleinen Landstrich zwischen Böhmen und Estland bis hin zur Wolga – nicht wenig, für einen allein.

Letzten Donnerstag las der 1965 in Tailfingen / Schwäbische Alb geborene Autor dort, wo trotz geringen Trommelns gut“ Besuch hinkommt, im Wilhelmshorster Peter-Huchel-Haus. Mit der so klugen wie charmanten Ulla Ekblad-Forsgren brachte er nicht nur die Moderatorin des belesenen Abends mit, sondern auch die erste Bewunderin seiner Literatur. Die schwedische Übersetzerin seiner Werke lobte den „allerfeinsten Pinsel seines Schreibens“, mit dem man „Töne hören, den Rhythmus spüren“, die Grautöne der Sprache wirklich erfassen könne. Durch den „horchenden, zuhörenden Autor“, habe sie überhaupt erst richtig Deutsch gelernt.

Tatsächlich siedeln seine Texte „an den Grenzen zwischen Geschichte, Sprachen und Kulturen“, wie Hausherr Lutz Seiler in der Einladung formulierte und Beyer es beim Vortrag bestätigte. Er las Passagen aus seinem schon älteren, dafür personengebundenen Band „Erdkunde“ (Dumont), das sind vier- oder mehrgeteilte Textblöcke, welche er, dem Hörenden nicht nachvollziehbar, „Gedichte“ nennt. Nach Ansicht der Übersetzerin schafft sich Beyer hier Räume, um sie anschließend „abzuklopfen“. So entstehen mit schwingenden Worten und sparsam verwendeten Metaphern verzierte Beschreibungen reflektierender Art.

Stets sein poetisches „Ich“ im Gepäck, schilderte er also sein Verhältnis zu Teplice in Nordböhmen, zu Gliwice, oder Narwa an fernen Ostseegestaden, wo man sich höflichst entschuldigte, ihm ein noch immer „sowjetisches“ Hotelzimmer anbieten zu müssen. Doch der erdkundige Autor zeigte sich begeistert: Je aussichtsloser etwas ist, umso größer auch „die Chance“. Genau wie mit Dresden: In Kiel und Neuss aufgewachsen, entdeckte er als Kölner, dass ihm halt eine Himmelsrichtung noch fehle. Und folgte ihr, bis sich ihm „eine neue Perspektive entwickelte“.

Der Name „Joseph“ verfolge nun allerdings ihn: „Goebbels, Stalin, Beuys – nur über Maria habe ich noch nicht geschrieben.“ Über einen „Sommer“ in Madrid schon, ein druckfahnenfrisches Manuskript, woraus er las. Über die geliebte Sprache vieler Zungen am Beispiel des Wacholders oder Kranevit – wunderbarer Text. Über die Frage, was „Herkunft“ sei zwischen Württemberg und der noch zu erkundenden Incognita im Osten. Mit den schönen alten Worten Glanzerde und Gehrenmantel wusste er leider nichts anzufangen.

Manche Texte kann man hören, andere müsste man lesen. Pädagogische Ambitionen verfolge er beim Schreiben nicht, räumte aber ein, eigentlich immer etwas zu untersuchen. Doch hatte man richtig gehört: „Wohin euch meine Sprache führt, ist eure Sache“? So darf nun kein Autor reden. Gerade Marcel Beyer führt doch sein Publikum ins Unbekannte. Da muss man sich auf seinen schon Scout verlassen können – sonst wäre man, mit ihm, verlassen.

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