Potsdam-Mittelmark: Ideen gibt es genug
Vor 15 Jahren erschien die erste Ausgabe des Nuthe-Boten / Erika Haenel ist seit Anfang an dabei
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Nuthetal - Erika Haenel sagt über sich, sie habe kein Gedächtnis für Fakten, und Arbeit an andere zu delegieren, falle ihr bis heute schwer. Hätte sie das im April 1991 so gesagt, in dem Monat, als sie zusammen mit sieben anderen Frauen die Redaktion für den Nuthe-Boten gründete, hätte man ihr mit großer Wahrscheinlichkeit von diesem Vorhaben abgeraten. Wer erfolgreich eine Zeitung machen will, der muss Fakten präsentieren und Arbeit delegieren können. Dass dies nicht zwingend notwendig sein muss, beweist Erika Haenel.
Am 1. Juli hat Erika Haenel mit knapp 100 Gästen gefeiert: 15 Jahre Ortsverein Bergholz-Rehbrücke und damit verbunden 15 Jahre „Der Nuthe-Bote“, die unabhängige Monatszeitschrift für die Gemeinde Nuthetal, dessen erste Ausgabe mit acht Seiten im Juli 1991 erschien. „Den Verein mussten wir gründen, damit wir die Zeitung herausgeben konnten“, sagt Erika Haenel an einem heißen Julivormittag. Die Redaktion des Nuthe-Boten hat Sommerpause. Die nächste Ausgabe soll am ersten Septemberwochenende erscheinen. Am Vortag ist ihr die Computer-Maus vom Tisch gefallen und hat sich in die Einzelteile zerlegt. Die Arbeit am Schreibtisch muss nun warten. Was Erika Haenel aber nicht davon abhält, neue Ideen für die kommenden Ausgaben zu entwickeln.
Über die Spuren der Hugenotten, französischer Protestanten, von denen sich nach 1685 etwa 20 000 in Brandenburg-Preußen und so auch in der Umgebung von Bergholz-Rehbrücke niederließen, möchte Erika Haenel schreiben. Oder über Johannes Bürger, der im Ort eine Werkstatt für Natur- und Kunststeine betreibt. Aber auch über das gefüllte Hörnchen aus der Tiefkühltruhe.
Vor kurzem hat Erika Haenel eine Packung mit diesen gefüllten Hörnchen aus der Tiefkühltruhe geholt und wollte sie aufbacken. Dann hat sie sich in die Packungsbeilage und die darauf aufgeführten Nebenstoffe vertieft. Es waren zu viele. Erika Haenel, bekennende Grüne, lässt das jetzt nicht mehr in Ruhe. Sie will hinterfragen und andere, die Leser des Nuthe-Boten, dazu bewegen, ebenfalls zu hinterfragen.
Wer hinterfragt, der will etwas nicht als gegeben hinnehmen. Wer hinterfragt, der akzeptiert nicht. Im Grunde ist dieses Hinterfragen der Grund, warum im April 1991 acht Frauen in Bergholz-Rehbrücke den Nuthe-Boten gründeten.
„Die Zeit nach der Wende war eine sehr politisch aufgeladene Zeit“, sagte Erika Haenel. In der DDR-Zeit hatte sie mit einer Puppenspielgruppe versteckt Kritik an den Verhältnissen geübt. Nach 1989 kam die Zeit, aktiv in die Verhältnisse einzugreifen. Erika Haenel kandidierte für die Fraktion UBI/Grüne und ist bis heute in der Gemeindepolitik aktiv. Mit dem Nuthe-Boten sollte eine Plattform geschaffen werden, der die Bürger über die Entscheidungen der Gemeindevertreter informiert und ihnen gleichzeitig die Möglichkeit gibt, sich selbst zu äußern.
„Es war eine wilde Zeit“, erinnert sich Erika Haenel. Investoren kamen und man wollte jedes freie Stück Land bebauen lassen. „Damals war geplant, dass die Einwohnerzahl von Bergholz-Rehbrücke auf 10 000 ansteigen soll.“ Heute sind es 6000. Eine gesunde Zahl, wie Erika Haenel sagt. Die Redaktion des Nuthe-Boten hat die geplante Bauwut von Anfang an kritisch verfolgt. Es kam zum heftigen Schlagabtausch. „Der Bürgermeister wird uns nicht geliebt haben, trotzdem hat die Gemeinde uns in den Anfangsjahren sehr unterstützt.“ Doch Mitte der 90er Jahre stand die Redaktion vor einem Schuldenberg von 3000 Mark.
Mit einem Nuthe-Boten-Spendenfest konnte das Geld aufgebracht werden. „Die Spendenbereitschaft der Leute hat uns gezeigt, dass unsere Arbeit im Ort akzeptiert wird“, sagt Erika Haenel. Kurze Zeit später kam ein neuer Chefredakteur – ehrenamtlich wie jedes Redaktionsmitglied – und brachte das Blatt auf Kurs. Mehr Anzeigenkunden wurden geworben und langsam wuchs die Seitenzahl im Nuthe-Boten.
40 Seiten umfasste die bunte Jubiläumsausgabe. Insgesamt 900 Exemplare des Nuthe-Boten werden monatlich gedruckt. Die 320 Abonnenten werden von den Redaktionsmitgliedern oder freiwilligen Helfern beliefert. Ein Teil der Auflage wird an die Anzeigenkunden verteilt, der Rest in Geschäften der Ortsteile für 1,30 Euro verkauft.
Ein großer Teil dieser organisatorischen Arbeit liegt bei Erika Haenel, doch sie hat mittlerweile gelernt, Arbeit an die anderen Redaktionsmitglieder zu verteilen. Seit drei Jahren ist sie die leitende Redakteurin. Mit neun Kollegen arbeitet sie jeden Monat, außer in der Sommerpause, an einer neuen Ausgabe. Heimatgeschichte, Angelegenheiten, die die Einwohner bewegen, bunte Geschichten und die Kinderseite sind feste Größen im Nuthe-Boten.
Wenn Erika Haenel mit dem Fahrrad durch Rehbrücke fährt, ist sie immer auf der Suche nach neuen Geschichten. Geschichten interessieren sie mehr als Fakten. Denn Geschichten bringen die Menschen zusammen, sagt sie. Dass diese einmal ausgehen könnten, kann sich die 73-Jährige nicht vorstellen. 1944, die elterliche Wohnung in Berlin war ausgebombt, kam sie nach Rehbrücke und ist geblieben. Der Ort ist ihr ans Herz gewachsen. Und so lange sie es kann, wird sie weiterhin kritisch verfolgen, was dort täglich passiert.
Weitere Informationen unter www.ov-bergholz-rehbruecke.de
Dirk Becker
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