KulTOUR: Igel, Agel, Morgenstern
Poesie und Dialektik auf der Bismarckhöhe
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Werder (Havel) - „Die Möwen sehen alle aus, als ob sie Emma hießen. Sie tragen einen weißen Flaus und sind mit Schrot zu schießen“, dichtete Christian Morgenstern über das fluggewandte Federvieh. Wie eine Möwe aussieht, weiß man, aber wie sieht nun Emma aus? fragte Reinhard Habel letzte Woche im Salon der Bismarckhöhe mit rhetorischem Geschick. Sein Vortrag wollte den ausgefallenen Humor des Lyrikers ausforschen, denn was im „Möwenlied“ vorderhand wie Blödsinn erscheint, hat für den literarisch wie philosophisch belesenen Hannoveraner tiefere Bedeutung.
Als Herausgeber der einzigen Morgenstern-Gesamtausgabe ist er sowieso der Spezialist ad hoc: Jenes Gedicht um die unbekannte Emma nun sei formal nach dem dialektischen Prinzip These-Antithese-Synthese aufgebaut, doch „erkläre“ solche Logik es nicht. „Mit Schrot zu schießen“ etwa sei doch keine Eigenschaft einer Möwe. Des Dichters Trick bestehe darin, den Verstand dergestalt in die Irre zu führen, ihn in solche Widersprüche zu wickeln. Die Zuwendung des Lesers indes gehöre dem Vogel. Wie nun, hie Logik – da Sympathie? Genau dieser Konflikt erzeuge jetzt das Lachen als „Lösung“. Trefflich gesagt, doch wie viel Theorie brauchte der Autor wirklich für seine Schöpfungen?
Für Morgenstern war „Humor“ nichts Leichtes. Er definierte ihn in einem Essay als „Betrachtungsweise des Endlichen vom Standpunkt des Unendlichen“ her, welches selbst „keine absolute Betrachtung gestattet“. Übersetzt: Wer sich lediglich als „Ausschnitt aus einem größeren Ganzen“ versteht, erträgt das Leben besser. Ein Vorzug gegenüber der tragischen Sicht, welche das Individuum unnötig wichtig nimmt und der Seele damit zusätzlich Leid aufbürde.
Deshalb benutzte Morgenstern auch die Satire nur selten, etwa bei seinem „E.P.V.“: „Der Exerzierplatzvogel singt, bevor des Trommlers Fell erklingt.“ Weniger bekannt als Emma, pfeift dieser Vogel also da, wo der arme Mann „als nie versagender Soldat“ exerziert.
Doch hat alles seinen Preis, das wusste der chronisch Tb-kranke Dichter. In „Igel und Agel“ bläst „Igel“ sich wortwörtlich die Stacheln vom Leib, um seinem Agelchen zu gefallen. Trotzdem wird er von ihr verlassen und zuletzt, ganz nackt, „in den Weiher fortgeschwemmt“. Wirkliche Kunst sei also nur durch „Auflösung der Existenz“ zu haben, meinte der freundliche Redner. Durch den Tod, was freilich die Alten (Odysseus und die Sirenen) schon wussten.
Die ganze „Galgendichtung“ um 1900, das Spiel mit dem Aufbaumeln-Wollen sei also kein Spaß mit dem Blödsinn gewesen, sondern zuerst ein ernsthaft-ästhetischer Protest gegen die Wilhelminische Gesamtpolitik. Hinzuzufügen wäre: Was besagter Humor den Galgenbrüdern verwehrte, nahm Paul Scheerbarth, siehe oben, zu ernst: Dieser Dichter und Pazifist ließ sich 1915 aus Protest gegen Krieg Eins verhungern. Er war mit dem Erfinder von Emma und Agel bekannt, ein weiteres Thema für den „Treffpunkt Galgenberg“.
Indem Morgenstern das Unbelebte (wie Begriffe) animierte und Unmögliches zusammenfügte, brachte er nicht nur „die Sprache zum Tanzen“, er war auch zum „Schöpfer neuer Welten“ geworden. Im Rätselgedicht „Die drei Hasen“ sieht Habel das Geheimnis seines Humors gelüftet. „Machen wir“s doch mal“: „Drei Hasen im Geviert “ bis die Wurzel zu ziehen ist, usw. Er hub an, dann zuletzt fragend, „haben Sie verstanden?“ Das faszinierte Publikum nickte emsig. „Ich nicht!!“ Lachen. Der Trick war bei Herrn Morgenstern gelernt.
Gerold Paul
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