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KulTOUR: Immer an der Wand ...

Lesung zur Familie Kollo in der Comédie Soleil

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Werder (Havel) - Ursprünglich hieß diese aus Ostpreußen stammende Sippe einfach Kollodzieyski. Als jedoch eines schönen Tages die Muse über sie kam, wurde daraus der weltbekannte Künstlername „Kollo“. Willi (1904-1988) hatte an seinem Lebensabend aufgeschrieben, was ihm und seinem Vater Walter Kollo (1878-1940) im Dasein so alles geschah. Seine Tochter Marguerite wiederum hielt diese „literarisch-musikalischen Erinnerungen“ für wichtig genug, dass sie unter dem Titel „Als ich jung war in Berlin...“ ein Standardwerk daraus machte. CD und Hörbuch folgten.

Am Sonnabend trug die Musikverlegerin und Künstleragentin die vielleicht nettesten Kapitel in der gut besuchten Werderaner Comédie Soleil als Lesung vor. Alternierend dazu gab es Kostproben aus dem musikalisch-literarischen Werk von Vater und Sohn, nichts Ganzes also an diesem mehr als zweistündigen Abend. Etwas mehr Temperament im Vortrag von Marguerite Kollo hätte ihn sicherlich kürzer erscheinen lassen.

Weil Vater Walter Kollo zu viel mit seinem Ruhm beschäftigt war – er hat später sogar Paul Lincke vom Thron verdrängt –, kam Sohnematz Willi zu kurz, er wuchs bei seiner Oma in Königsberg auf. Als die ihm fremden Eltern ihn im dritten Jahr abholen wollten, fanden sie ihn spielend in ihrem Sarg vor, er dachte, sie schliefe nur. Karrierestationen jeweils von Vater und Sohn, ihre Zusammenarbeit in Sachen Operette, die damals ganz hoch im Schwange war, glanzvolle Namen von Max Reinhardt über Asta Nielsen und Grete Weiser, jede Menge Kabarett-Anekdoten und Lebensschnurren.

Dazwischen die nur angespielten Songs wie „Nach meine Beene ist ja janz Berlin verrückt“ (Walter Kollo) oder „Das war sein Milljöh“ (Willi Kollo), beide Male gesungen von Claire Waldorf. Insgesamt waren es sechsundzwanzig Titel! Von der europaweiten Kriegs-Euphorie 1914 zeugte der fesche Marsch „Die graue Felduniform“, vom Vorkrieg zum zweiten Willi Kollos hellsichtiges Couplet vom „Bücherkarren“: „Wenn ich wüsste, was der Adolf mit uns vorhat / wenn er erst das Brandenburger Tor hat...“ Mittenmang jede Menge Liebe, Triebe und Verirrungen, besonders aus den von ihm schwer vergoldeten Zwanzigern. Dann Goebbels und Hitler, sie halfen dem Erzrivalen Lincke ganz obenauf.

Der etwas gleichförmig geratene Leseabend sparte die unschönen Seiten im Leben des Komponisten- und Dichterpaares weitgehend aus, Rohrstock-Prügel gegen Willi, die Eheprobleme der Eltern, oder das Kapitel „Mein Engel geht schweigend neben mir“ über seine ganz persönlichen Erfahrungen mit den Nazis. Hier hätte der Abend nicht nur nett, sondern auch produktiv werden können.

Immerhin scheint mit dieser ersten Veranstaltung der Comédie Soleil 2013 ein neues Lüftchen zu wehen, Prinzipal Michael Klemm hatte ja „Änderungen“ in der Ensemble-Struktur und auch sonst bereits angekündigt. Vielleicht gehts fortan nicht nur „immer an der Wand lang“, sondern auch mal „feste druff“, um mit den Kollos zu sprechen.

Der Publikumszuspruch an dieser ersten Lesung bewies ja das anhaltende Interesse am eigenen Theater in Werder (Havel), man muss nur auch mal andere ranlassen und Gestandenes, wie eben die „Kollodzieyskis“, zulassen! Klemm verriet schon mal zwei Namen, die demnächst ihren theatralischen Einstand geben werden, Karoline Hugler und Julian Tyrasa. Bekannt? Gerold Paul

Gerold Paul

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