KulTOUR: Immer renitenter !
Dieter Hildebrand in der Kulturscheune Ferch
Stand:
Schwielowsee - „Er ist wirklich eine Institution!“, raunte jemand seinem Nächsten zu. Hm. „Er hat für viele von uns die BRD bewohnbar gemacht.“ Hm. Wem galt solch institutioneller Ruhm? Nicht irgendein „Vater der Nation“ hatte sich aus dem tiefsten Bayern ins dunkle Ferch begeben, sondern Dieter Hildebrandt, westdeutscher Vorzeige-Kabarettist von eh, Wühlmaus und Scheibenwischer a. D., Buchautor und Vortragsreisender jetzt, gerade achtzig geworden.
Am Dienstag beehrte er die „Kulturscheune“ mit seiner höchstpersönlichen Anwesenheit. Volles Haus, na klar, es mochten ungefähr so viele gekommen sein, wie er an Jahren zählt. „Nie wieder 80“ heißt ja auch sein neues Buch, aus dem zu lesen er mehrmals versprach. Bevor dies aber geschah, hatte der eloquente Haudegen und Stänkerer dem Publikum „wichtige Mitteilungen“ zu machen, etwa dass der Bundesbürger „wieder gehen lernen“ müsse, was man angesichts der Bahnkrise von Mehdorn als „Blähdorn“ zu halten habe und warum der Protestant Beckstein – „ich les“ gleich!“ – seinen ersten offiziellen Besuch dem Papst und nicht Wittenberg weihte. Stets bissig, stets auf der Suche nach dem passenden Bonmot, ist er ganz der Alte geblieben, wie man das auch erwartet – beredt, elastisch, auf der Höhe der Zeit. Allerdings gehörte zu dem feschen Satz „Ich werde immer renitenter!“ auch die Bitte um „mildernde Umstände“, vorsichtshalber.
Mit der hohen Politik hält es Hildebrandt noch immer, besonders mit der bayerischen, was im Ferch Preußens aber nicht dieselbe Zugkraft zu haben schien wie dort – „es gibt in Bayern nur ein Volk, gäbe es zwei, müsste man nachdenken!“. Das kam einem irgendwie bekannt vor. Auch seine Zielscheiben sind die alten, niemand macht es ihm recht, weder Politik noch Wirtschaft, weder Papst noch Politik, und zu allem will er einen Senf noch dazugeben, weißwurschtmäßig. Auf der Suche nach dem Sozialstaat von gestern („gilt die Verfassung überhaupt noch?“) sieht sich der emsige „Zeitungszeilenhinterleser“ von „Millionen von Quatschköpfen und Wichtigtuern“ umzingelt, die weder denken noch Deutschreden können. So trägt er den „Spontanspuckern und Zeltkomikern“ all ihre gesammelten Fehler nach, einem Kohl sowieso, auch Münte, Merkel und Westerwelle, welcher im Kampf gegen die Linken nicht das Licht am Ende des Tunnels sei, sondern „der Tunnel selbst“. Der Rache an Stoiber ist ohnehin kein Ende. Doch greifen die alten Feindbilder wirklich noch, die alte Aufklärermasche? „Man muss es denen in Berlin einfach mal sagen!!“ Ja, ja, bestimmt.
Wenn es auch ziemlich anstrengend ist, immer dagegen zu sein, so hatte der Kabarettist doch sein Publikum („das beste, was mir seit gestern begegnet ist“) schnell in der Tasche. Lacher ohne Ende, stehende Ovationen nach gut zwei Stunden gar, so auch der Pflichtpart im Lesen geschafft war. Manchmal hatte man freilich den Eindruck, als ginge es dem alten Herrn allein um eine gute Formulierung.
Ferner Fremder: Als nach der Erklärung um den Dortmunder Fußball-Filz Spontanbeifall ausblieb, meinte er ganz uncharmant: „Sie haben hier keinen Verein, das merkt man an Ihren Reaktionen!“ Dasselbe mit Guido Baumann, dem TV-Mann: „Kennen Sie den? Dann weiß ich auch Ihren Altersdurchschnitt.“ Doch gemach, seien dem demokratischen Vorzeige-Bayern „mildernde Umstände“ gewährt, eine altersrenitente „Institution“ ist er ja ohnehin. Ganz der Alte eben, für alles zuständig. So war“s ganz nett. Ein Lob dem Kulturforum Schwielowsee für die treffliche Ausrichtung dieses unterhaltsamen Abends.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: