Potsdam-Mittelmark: In Angst und Misstrauen vereint
In Teltow gingen am Montag etwa 60 Menschen auf die Straße: eine Demonstration der Enttäuschung und der Wut, ausgelöst durch Hartz IV
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In Teltow gingen am Montag etwa 60 Menschen auf die Straße: eine Demonstration der Enttäuschung und der Wut, ausgelöst durch Hartz IV Von Peter Könnicke Teltow - Pressemitteilungen hat Horst Fleischer schon viele geschickt. Mal lud der Chef des Teltower Heimatfreundekreises zur Busfahrt nach Böhmen ein, mal in die Lausitz. Und immer gab“s eine „Unterwegsüberraschung“. Fleischers jüngste Pressenotiz klang hingegen gar nicht unterhaltsam. „Stoppt den Sozialabbau, stoppt Hartz IV“, steht, mit einer Schreibmaschine getippt, als Aufruf zu einer Kundgebung, vorgestern auf dem Ruhlsdorfer Platz. Montag Nachmittag um 17 Uhr geht am Ruhlsdorfer Platz nicht viel. Das tägliche Verkehrschaos erlebt hier seinen Höhepunkt. Gesagt wurde schon viel, um den allabendlichen Stau zu verhindern, viel getan hat sich bislang nicht. Es ist allerdings ein anderes Versprechen, das an diesem Montag gut 60 Teltower in Erinnerung bringen. „Vor acht Jahren hat Schröder versprochen, die Zahl der Arbeitslosen zu halbieren“, erinnert Fleischer, „jetzt sind es so viel wie nie zuvor.“ Fleischers Protest scheint mehr eine Sache des Bauches als des Kopfes. Hartz IV, das gibt er unumwunden zu, habe er nicht ausführlich genug studiert, um es für untauglich zu befinden. „Ich lass“ mich gern eines Besseren belehren“, sagt der 53-Jährige. Allein, dass das Reformpapier mit rot-grüner Tinte geschrieben ist, reicht Fleischer offenbar, um sein Misstrauen zu pflegen: „Ich traue dem Kanzler nicht mehr.“ Auch vor Teltow machen die Erreger des Hartz-Fiebers nicht halt, das bundesweit grassiert: Misstrauen, Wut, Angst und Ohnmacht breiten sich schnell auf dem Ruhlsdorfer Platz aus, um den sich – vier Wochen vor der Landtagswahl – die Wahlplakate von SPD und Grünen wie Schutzschilder aufbauen. Sicheres Terrain für den Kleinmachnower PDS-Direktkandidaten Klaus-Jürgen Warnick, der leichtes Spiel hat, Unterschriften gegen Hartz IV zu sammeln. Willkommene Plattform für den hiesigen FDP-Landtagskandidaten Hans-Peter Goetz, der fordert, „Hartz IV um ein Jahr auszusetzen“. Der Ruhlsdorfer Platz illustriert ein stückweit den Zustand des Landes: ein grün sanierter Plattenbau, vis-à-vis die Neue Wohnstadt, deren DDR-Charme der 60er Jahre nicht zu übertünchen ist, marode Altbauten, deren Eigentumsfragen noch immer offen sind, eine Dönerbude und viel Stau. Das Eingangstor der Stadt wirkt unfertig, die Gestaltungsfrage hat keine Antwort. Die allgemeine Verunsicherung hat an diesem Montag viele Gesichter: junge und alte, gut gebräunte und gepiercte. Mit ihren Worten bestätigen die Leute, was Politikwissenschaftler in den vergangenen Tagen wiederholt gesagt haben: Hartz IV sei in Ostdeutschland nur das I-Tüpfelchen einer jahrelangen Benachteiligung der neuen Länder, ein weiterer Schlag ins Kontor der ohnehin Schwachen. „Es wird doch alles immer schlimmer“, erbost sich Torsten Bieber, der zusammen mit Fleischer die Kundgebung organisiert. „Das Ende“ sieht Gören von Grzegorzewsky erreicht. „Eine Zeit, wo man von der Hand in den Mund lebt und sich nichts mehr zurücklegen kann.“ Seine Wut auf die „Abzockerei“ lässt den 40-jährigen Ex-Tiefbauer wahrlich revolutionär einen „Neubeginn durch Neuverteilung“ fordern. Denny Hügelow baut „nicht wirklich“ darauf, durch Hartz IV einen Job zu bekommen. Die „Absagen, Absagen und Absagen“ der letzten anderthalb Jahre haben dem gelernten Maler und Lackierer nahezu alle Hoffnungen genommen und zudem die Lebenspläne neu justiert: „Natürlich will ich eine eigene Familie“, sagt der 25-Jährige, „aber wir wagen nicht, jetzt ein Kind zu bekommen. Das wäre fürchterlich.“ Hartz IV - der Totenschein für Kinderwünsche? „Ich weiß es nicht“, gesteht Hügelow. Er wolle sich jetzt ein bisschen schlauer machen. Torsten Bieber indes habe „alles verschlungen“, was es bislang an Informationen über die Sozialreform gab. Sein knappes Resümee nach der Lektüre: „Wir brauchen kein Hartz IV, sondern Arbeitsplätze.“ Den Entschluss, auch in Teltow Demonstrationen zu organisieren, fasste Bieber zusammen mit Fleischer in der Kneipe. „Lieber eine gute Idee am Stammtisch als schlechte Ideen im Parlament“, lässt sich Fleischer nichts schlecht reden. Dass alle, die jetzt auf die Straße gehen, den „guten Ruf der Montagsdemonstrationen“ ruinieren würden, hält er für „absoluten Blödsinn“. Trotzig ruft Fleischer den Leuten zu: „Wir nehmen uns das Recht, auf die Straße zu gehen und auf Missstände aufmerksam zu machen.“ Und Bieber sekundiert: „Für dieses Recht sind wir damals montags auf die Straße gegangen.“ Fleischers Nachwende-Karriere ist für den Osten typisch: Zu DDR-Zeiten arbeitete er in der Mikroelektronik, an deren Tradition Teltow heute verzweifelt Anschluss sucht. Mit dem Ende der volkseigenen Kombinate verlor Fleischer seinen Job. Wie für viele wurde für ihn ABM zum Kürzel des gescheiterten Versuchs, Arbeitslosen eine Perspektive zu geben. Jetzt kommt Hartz IV, doch statt Zuversicht hat Fleischer „die Schnauze voll“. Ob über Hartz IV informiert oder nicht, die Teltower Protestgemeinde am Ruhlsdorfer Platz eint Unmut über eine Politik, die seit fast anderthalb Jahrzehnten mehr versprochen als gehalten hat – angefangen von blühenden Landschaften bis zur Angleichung der Lebensverhältnisse. Angst und Enttäuschung münden letztlich in dem nun lauter werdenden Protestruf: „So kann es nicht weitergehen.“ Eine Ahnung, „wie wir aus dem Dilemma rauskommen“, habe er freilich nicht, räumt Fleischer ein. „Doch demonstriert wird so lange, bis Hartz IV weg ist“, prophezeit Bieber.
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