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Potsdam-Mittelmark: In Werder unter den Linden

Die Flanieremeile der Altstadt war schon immer eine angesagte Adresse. Uschi Plank hat zur Geschichte recherchiert

Von Eva Schmid

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Werder (Havel) - Die Linden blühen, die Türen der Geschäfte in Werders Einkaufsstraße Unter den Linden stehen weit offen. Lieblich-honigsüßer Duft liegt in der Luft. Samstags wird gebummelt. Dicht an dicht reihen sich die Läden aneinander, Schaufenster an Schaufenster. Schon vor 75 Jahren war die Straße ein Paradies für Flaneure. „Das war fast schon ein bisschen zu viel für so eine kleine Stadt“, sagt Uschi Plank. Die 75-jährige Werderanerin hat die Geschichte einer der zentralen Straßen der Stadt rekonstruiert.

Links der Hutmacher, in seiner Auslage schicke Damenhüte mit Federn und Schleier. Gegenüber wurden Cremes und Seifen in der Drogerie verkauft. Bis unter die Decke standen dort Porzellantöpfe mit Schönheitstinkturen, gleich daneben der Bäcker mit den Zuckerkringeln. Sogar ein Feinkosthandel mit exotischen Gewürzen gab es vor einem Dreivierteljahrhundert.

Damals wie heute war die kopfsteingepflasterte Lindenallee mit ihren Prachtbauten eine wichtige Einkaufsstraße, erzählt Uschi Plank. „Mich hat vor allem fasziniert, wie groß die Vielfalt an Geschäften schon damals war.“ Die Rentnerin organisiert regelmäßig Stadtführungen für die Werderaner Gilde, einem Zusammenschluss aus Stadtführern. Sie war neugierig, wie der Alltag früher Unter den Linden war. Da hat sie sich umgehört.

Die Frau mit den kurzen weißen Haaren blättert konzentriert durch alte Fotos und handgeschriebene Aufzeichnungen. Auf ein Jahr hat sie den Fokus ihrer Recherchen gelegt: „Ich wollte wissen, wie es gewesen wäre, wenn ich hier aufgewachsen wäre.“ 1939 ist Uschi Plank geboren, 500 Kilometer weit von Werder entfernt, in Solingen.

In den prachtvollen Bauten Unter den Linden lebten seinerzeit betuchte Familien: Fruchtsaftfabrikanten, Zahnärzte, Apotheker und natürlich Händler. Da war der Kaufmann Reinhard Hellborn. Er bot Strickwolle, Filzpantoffeln und Manufakturkonfektion an. Die Lebensmittelhändler Haupt & Mai hatten in ihrem Sortiment sogar Südfrüchte. „Wo sie die wohl herbekommen haben?“, fragt sich Uschi Plank. Sie schüttelt den Kopf, nein, keine Ahnung, wie sie an so etwas damals kamen. Auch die Werderaner Obstbauern fanden in der Einkaufsstraße Nützliches: Ein Ingenieur fertigte Baumspritzen an. In einem anderen Laden gab es Obstzüchterleitern. Auch Buchbinder, Korbmacher und Schreibwarenhändler boten ihre Waren feil.

Um dem Leben vor 75 Jahren näherzukommen, musste Uschi Plank jahrelang stöbern. Immer wieder ging sie ins Stadtarchiv, suchte dort in alten Adressbüchern, Zeitungsartikeln und auf vergilbten Postkarten nach Hinweisen. Sie wollte mehr über die Familien und die Geschäfte herausbekommen, führte Gespräche mit Zeitzeugen. Das war nicht immer leicht: „Manchmal hört man zehn verschiedene Versionen von einer Sache.“ Doch die aufwendige Arbeit hat sich gelohnt. Die Werderanerin kennt jetzt die Geschichten von jedem Haus in der Straße, sie weiß, wer dort gelebt hat. Der Alltag Ende der 30er-Jahre war dabei auch in Werder massiv durch den Einfluss der Nazis geprägt. Das müsse man auch bedenken, sagt die Stadtführerin.

Bei vielen Bewohnern sei damals das Geld sehr knapp gewesen, da konnte man sich höchstens die Nase plattdrücken an den Glasfenstern vor der Auslage. Dennoch habe es immer genügend kaufkräftige Kunden gegeben, darunter Weinbergsbesitzer oder Nachfahren der Glindower Ziegelbarone. Hätte es die Nachfrage nicht gegeben, wäre eine derart große Vielfalt an Geschäften damals gar nicht möglich gewesen.

Stapelweise Material hat die Stadtführerin vor sich liegen, das Ergebnis einer langen Recherche. Doch die Arbeit hat sich gelohnt: „Ich habe Geschichte wieder entdeckt, denn die läuft einem ja nicht nach.“ Heute ist sie glücklich, dass die sanierten Bauten wieder ihre alte Schönheit erlangt haben. Und für interessierte Flaneure hat sie jetzt zu jedem Haus und Laden endlich eine Geschichte parat.

Einblicke in das Leben Unter den Linden gibt es von Uschi Plank am Sonntag im Café Muckerstube. Los geht es um 14.30 Uhr in der Brandenburger Straße 164. Der Eintritt kostet vier Euro. Zeitzeugen sind besonders willkommen.

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