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Potsdam-Mittelmark: Jagten in Werder Neandertaler ?

Biologe Kai Heinemann führte seine Zuhörer in die Tier- und Pflanzenwelt des Eiszeitalters zurück

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Werder (Havel) - Wer über die trockenwarmen Sommer der letzen Jahre stöhnt, den konnte Kai Heinemann trösten. Im Eozän, also vor mehr als 35 Millionen Jahren, lagen die Durchschnittstemperaturen im Gebiet um Werder mit 21 Grad Celsius doppelt so hoch wie heute. Der im Natur- und Landschaftsschutz tätige Biologe machte im Inselhotel in den „Werderaner Gesprächen“ des Heimatvereins die Tier- und Pflanzenwelt jener fernen Zeiten bis zum Ende der letzten Eiszeit, der Weichseleiszeit vor 15 000 Jahren, zum Thema.

In den zwischen Kalt- und Warmzeiten wechselnden Epochen wuchsen mal heute aus dem Süden bekannte Palmen, Feigen, Amberbäume und Sumpfzypressen. Mal besiedelten Pionierpflanzen wie der Arktische Mohn, Silberwurz und Himmelsleiter die Frostschuttwüsten vor dem sich zurückziehenden Eis und bereiteten die Wiederbewaldung vor. Ähnlich die Tierwelt: Da frisst ein Riesenkrokodil den Vorgänger unserer stolzen Rösser, das nur 40 Zentimeter hohe Urpferd; in Auen, Sandern, Sümpfen und Moränenhügeln tummeln sich Elefanten, Leoparden, Löwen und Hyänen, die um ein Drittel größer waren als ihre heute lebenden Nachfahren. In den kalten Zeiten kamen dann Mammut, Rentier und die pfiffigen kleinen Lemminge.

Wie die Tier- und Pflanzenwelt jener weit zurückliegenden Epochen aussah, versuchen die Biologen aus tierischen und pflanzlichen Überresten (Fossilien) und der Analyse von abgelagerten Pollen zu enträtseln. An solchen Funden sind in der Havelregion die von der Weichseleiszeit hinterlassenen Bodenschichten besonders reich. Schon 1816 wurden rund 500 000 Jahre alte Knochen- und Zahnreste von Moschusochsen ausgegraben, die ein kaltes und trockenes Klima brauchten. Die Geweihstange eines Riesenhirschs kam bei Phöben ans Tageslicht – sie war 3,80 Meter lang und wog 40 Kilogramm, also hatte das Tier 80 Kilogramm mit sich herumzutragen.

Wie für die vor etwa 10 000 Jahren ausgestorbene Art, die in Kalt- wie in Warmzeiten lebte, sind auch all die anderen von Heinemann genannten Tier und Pflanzen durch Funde für unsere Region nachgewiesen. Bei der Rekonstruktion ihres Aussehens, räumte der Biologe ein, spielt allerdings stets etwas Fantasie mit. Die ließ er auch selbst walten, denn er unterlegte die prächtigen Lichtbilder mit nachempfundenen Rufen und Lauten der längst ausgestorbenen Tiere. Manche haben die endlosen Zeitspannen bis heute überstanden – so die Smaragdeidechse, die bis in die 1960er Jahre am Schwielowsee noch lebte, oder die Moospuppenschnecke, für die Heinemann selbst unlängst ein Nachweis gelang. Die Saaleeiszeit schenkte der Region den Ton als Grundlage der späteren Glindower Ziegelproduktion. Und auch um Werder gab es vor gut 11 000 Jahren die nach dem Wollmammut benannte Mammutsteppe, eine in der Erdgeschichte einmalige Lebenswelt mit ihrer trotz Wintertemperaturen bis zu -25 Grad großen Artenvielfalt.

Kai Heinemann schloss seinen Vortrag mit jenem Zeitpunkt ab, als vor 14 000 Jahren am Ende der Weichseleiszeit die ersten Menschen, steinzeitliche Rentierjäger, das Gebiet um Werder erreichten. Er entließ die vielen Zuhörer aber in Ungewissheit: Bei der genauen Untersuchung des Unterschenkels eines Wollnashorns aus der Eem-Warmzeit vor rund 120 000 Jahren wurden Schnitte entdeckt, die von Jägern stammen könnten. Damals lebten die Neandertaler. Hat diese rätselumwobene, vor rund 30 000 v.u.Z. ausgestorbene Art also bereits mehr als 100 Jahrtausende vor den Rentierjägern Werder für den Menschen entdeckt? Erhart Hohenstein

Erhart Hohenstein

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